Carlos verdient sein Geld mit Kaffeebohnen, seit er zehn Jahre alt ist. Die Farm, auf der er arbeitet, liegt in Boquete, einem kleinen Dorf umgeben von Bergen und Regenbögen. Der örtliche Bürgermeister hat die Schönheit des Ortes erkannt und vermarktet ihn als Altersresidenz für US-Bürger: mit eingezäunten Wohnanlagen und Cheeseburgern zum Schnäppchenpreis.
Se vende“ – „Zu verkaufen“ steht auf vielen Schildern am Rande der Hauptstraße, die sich wie ein endloses Band über die kleinen Hügel durch den lebendigen Stadtkern schlängelt. In Mitten eines Tals in der Hochebene von Chiriqui und am Fuße des Vulkans Baru liegt das panamaische Bergdorf Boquete, ein 22.000-Einwohner-Paradies mit unzähligen Kaffeefeldern und farbenfrohen Blumenplantagen, das derzeit zu großen Teilen zum Verkauf steht.
„Erst kürzlich war ein englischer Tourist hier, der die zwei Wörter auf den Schildern für den Namen des Dorfes gehalten hat, so verbreitet sind die hier“, erzählt Carlos und seine Stimme klingt dabei so verbittert, dass man ihm die eigentlich viel zu perfekte Anekdote fast glauben möchte.
Wenn er die Stirn in Falten legt, dann funkeln seine dunklen Augen und er wirkt entschieden. Carlos hat in seinem Leben für hiesige Verhältnisse schon viel erreicht. Der Sohn einer Kaffeepflückerfamilie ist in Boquete geboren und aufgewachsen, verdient sein Geld mit der roten Kaffeefrucht, seit er im Alter von zehn Jahren nach der Schule mit seinen Geschwistern auf der Plantage zum Lebensunterhalt der Familie beitrug.
Ideale Bedingungen für den Kaffeeanbau
Die Bedingungen für den Kaffeeanbau hier sind ideal: Das Klima im Hochland ist konstant warm, selten heiß, und Regen gibt es hier fast zehn Monate im Jahr. Dazu sorgt das Vulkangestein für einen besonders nährstoffreichen und fruchtbaren Boden. Bäume bunt bedeckt mit Orangen, Zitronen, Mango, Papaya, Bananen, Avocado und Guave spenden dem Kaffee zudem tagein tagaus den so notwendigen Schatten.
Inzwischen ist Carlos 34 und seine Haut gezeichnet von der jahrelangen harten Arbeit auf den Feldern unter der brütenden Sonne Zentralamerikas. Graue Linien durchziehen sein schwarzes Haar, die ihn ein bisschen älter machen und einen lustigen Kontrast zu seinem jungenhaften Charme schaffen, mit dem er stolz von dem Haus am Stadtrand erzählt, das er für sich und seine Familie gekauft hat. Das Geld für den Kredit verdient er als festangestellter Fremdenführer, der Touristen über die Kaffeeplantagen von „Café Ruiz“ führt und Kaffeeseminare gibt.
Carlos spricht fließend Englisch, das sei wichtig sagt er, denn während viele Touristen zumindest rudimentäre Spanischkenntnisse mitbringen, kann sich eine immer größer werdende Gruppe gar nicht in der Landessprache verständigen. Gringos nennen sie die hier, die englischsprachigen Ausländer vor allem aus den USA.
Gringos entdecken die Idylle
Ende der 80er kamen die ersten Fremden in die Stadt, kauften günstiges Land in dem Ort, der ebenso sicher wie modern und für US-amerikanische Verhältnisse besonders günstig war. „Ein Freund von mir hat sein Land für 50 Cent pro Quadratmeter verkauft, 5000 Dollar der Hektar“, erzählt Carlos und lässt vermuten, dass er es ihm noch heute übel nimmt.
Denn in den kommenden Jahren entdeckten immer mehr Gringos Carlos’ kleines Paradies zwischen den grünen Berghängen, als einen sicheren Ort, klimatisch günstig gelegen, perfekt geeignet als Alterssitz mit allen Vorzügen, die ihnen aus der Heimat bekannt sind – nur eben zu einem viel günstigeren Preis.
„Die erste Gated Community, eine umzäunte Wohnanlage also, entstand dort, wo zuvor eine wunderschöne Kaffeefarm gelegen hatte, fruchtbar, grün, umgeben nur von Bäumen und mit einem kleinen Fluss, der mitten hindurch floss“, erzählt Carlos. Heute stehen dort 300 Häuser, nahezu identisch im Aussehen mit ihren cremefarbenen Fassaden, dazu gibt es einen Golfplatz, zahlreiche Swimmingpools, Bars, Restaurants und ein Theater. „Eine kleine eingezäunte Stadt mit 24-stündiger Sicherheitsüberwachung“, sagt Carlos. Auch ein Hotel steht auf dem Gelände, 450 Dollar kostet die Übernachtung. „Mehr als ein durchschnittlicher Monatslohn in Boquete“, fügt Carlos mit dunkler Stimme hinzu.
Hinter Zäunen leben die US-Amerikaner
„Wenn du in so einer Community lebst, darfst du dein Haus nicht einfach in der Farbe streichen, wie du es möchtest, alle sind einheitlich beige. Du darfst deine Wäsche nicht raushängen, Kinder dürfen nicht in den Pool springen und du darfst nicht mehr als einen Hund haben. Es ist ein Gefängnis für reiche Leute.“
Den Amerikanern aber gefällt’s. Hinter großen Zäunen verbarrikadieren sich auf einem Gelände, zu dem Carlos als Einheimischer keinen Zutritt hat. Und wenn, dann nur unter strengen Sicherheitsmaßnahmen.
Nachdem ein Lifestyle-Magazin in den USA über Boquete berichtet hatte, gab es hier einen regelrechten Bau-Boom. Die Einheimischen verkauften ihr Land und die sechs Meter hohen Bäume wichen Golfplätzen und Hotelanlagen. Eine Million Dollar gibt es inzwischen für einen Hektar Land und Carlos Freund wird sich vermutlich über seinen schlechten Deal von einst ärgern.
Discounts und Benefits, sogar für Burger von McDonald
Man brauche kein Spanisch lernen, wenn man es nicht wollte, wirbt das amerikanische Lifestyle-Magazin AARP, und im Supermarkt gebe es importierte US-Produkte. Man könne einem Bridgeclub beiwohnen, Golf spielen, Freiwilligenarbeit unterstützen und Freunde zum Lunch oder während der Happy Hour in Bars und Restaurants treffen. Mit einem Budget von 2000 Dollar käme man als Paar gut über die Runden heißt es. Der US-Dollar ist übrigens Landeswährung.
Dazu gibt es jede Menge Discounts und Benefits. 20 bis 50 Prozent Rabatt bekommen Auswanderer auf Flüge, Busse und Züge, auf Filme, Konzerte, Restaurantbesuche, ja sogar auf Arzt- und Krankenhausrechnungen. Ein älterer Herr, der von seiner Rente lebt, verkündet stolz, dass er sogar Rabatt für einen McDonald’s Burger bekommt.
Für manch einen bedeutet der Umzug auch den Beginn eines Neuanfangs. Das Rentnerehepaar Rich Lipner und Dee Harris, beide pensionierte Lehrer, kamen 2003 aus Kalifornien nach Boquete, kauften dort eine sieben Hektar große Kaffeeplantage für 135.000 Euro. Der amerikanischen Huffingtonpost erzählen sie, was aus dem Land geworden ist. „In den vergangenen Jahren haben wir ungefähr 80.000 Euro investiert, um ein neues 1000 Quadratmeter großes Gästehaus zu bauen und das ursprüngliche 2000 Quadratmeter große Haus zu renovieren“, sagt Lipner. „Wir leben hier sehr komfortabel von unseren Pensionsgehältern. Wir haben ein neues und wunderbares Kapitel in unserem Leben begonnen.“
Landverkauf bringt mehr als Kaffeeanbau
„Man macht mehr Geld, wenn man sein Land verkauft, als wenn man eine Kaffeefarm betreibt“, sagt Carlos und blickt trübselig auf das weite grüne Land seiner Heimat.
Der ursprüngliche Eigentümer hatte es einst seinem Sohn Plinio vererbt, der, heute 92, jahrelang sparte und schließlich weiteres Land dazukaufte in dem Vertrauen, dass hier die Kaffeepflanzen besonders gut und ertragreich gediehen. Inzwischen ist es zum größten Kaffeeunternehmen Panamas herangewachsen, die elf Plantagen liegen weiter fest in Familienhand. Längst schon arbeiten auch Plinios Kinder mit.
„Die Farm ist 60 Hektar groß, das gebe 60 Millionen Dollar“, weiß Carlos. Trotzdem hat die Familie Ruiz bisher allen Verlockungen widerstanden, das Land für ein Vielfaches seines Ursprungspreises zu verkaufen. Vielleicht, weil ihre Geschäfte noch gut laufen. Vielleicht aber auch nur so noch lange, wie sie es sich leisten kann. Denn die Umsätze der Kaffeeindustrie in Panama sinken stetig.
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