Das Tal der Elefanten

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In Thailand werden Elefanten für schwere Arbeit eingesetzt, dafür qualvoll trainiert und misshandelt. Eine Frau will das nicht länger hinnehmen und hat auf eigene Faust ein Refugium geschaffen, wo die Tiere in Frieden leben sollen.

Schon aus der Ferne erkennt man die grauen Riesen. 60 Kilometer nördlich der thailändischen Metropole Chiang Mai, in einem Tal umgeben von Wäldern auf Bergen, durchschlängelt von einem Fluss, liegt er: der Elephant Nature Park (ENP). Die meisten Tiere hier haben ein hartes Schicksal hinter sich. Tiefe Narben auf ihrer grauen Haut zeugen von Schlägen, Ketten und Stichen. Zugefügt von den „Mahouts“, wie Elefantentrainer in Thailand heißen. Einer von ihnen ist Gawn.

Winzig wirkt er auf dem  Rücken des Elefanten, der sich langsam nähert. Aber er hält nicht den üblichen Elefantenhaken, einen langen Holzstab mit Metallspitze und –haken zum Kontrollieren des Tieres, in der Hand. Stattdessen gibt der Mann mit den schwarzen Haaren geduldig Kommandos und lenkt den Giganten mit Worten in eine andere Richtung. Und Hope, so heißt der 13 Jahre alte Elefantenbulle, gehorcht. „Er folgt mir, weil er mich mag. Und ich mag ihn“, erklärt Gawn. Der 35-Jährige stammt aus dem Nachbarstaat Birma und betreut den Jungbullen bereits seit sieben Jahren.

Seltener Elefant ohne Narben

„Ich versuche“, sagt Gawn, „jeden Morgen herauszufinden, in welcher Stimmung Hope ist und entscheide dann, was wir an dem Tag machen. Zum Beispiel auf die andere Seite des Flusses zu gehen.“ Auf Hopes Haut findet sich keine einzige Narbe, keine Spur von Schlägen oder Stichen. Das gibt es sehr selten in Asien.

Als Touristenattraktion lässt sich in asiatischen Ländern viel Geld mit den Dickhäutern verdienen. Das Training dafür beginnt früh. Weibliche Elefantenkälber müssen mit vier Jahren durch die „Phajaan“ Prozedur, männliche sogar schon mit zwei. Für Generationen von Mahouts ist es eine Erziehungskur. Für Tierschützer eine grausame Foltermethode. Und es dauert an, bis der junge Elefant gebrochen wurde. Bis er sich unterwirft. Bis er gehörig ist und keinen eigenen Willen mehr hat.

Idyllisches Refugium für geplagte Elefanten: 60 Kilometer nördlich der thailändischen Metropole Chiang Mai liegt der Elephant Nature Park. © Jodi Thomas
Im Park gibt es regelmäßig Elefanten-Nachwuchs. © Jodi Thomas
Jungbulle Hope erfrischt sich mit seinem Mahout Gawn im Fluss © Jodi Thomas
Die Gründerin des Elefantenparks hat auch obdachlose Hunde, ein dreibeiniges Pony und zahlreiche Wasserbüffel aufgenommen. © Jodi Thomas
Die Gründerin des Parks: Wegen ihrer Statur nennen sie alle Lek, thailändisch für: die Kleine. © Jodi Thomas
Tagsüber können sich die Elefanten frei auf dem 40 Hektar großen Areal bewegen. © Jodi Thomas

„Sie schlagen und brüllen, stechen und schikanieren das Elefanten-Baby.“

Dazu kommt er in einen engen Holzkäfig. Der Rest erscheint wie Chaos. Unzählige Männer schlagen und brüllen, stechen und schikanieren. Das Baby leidet unter Schlaf-, Futter- und Wasserentzug. Ihm werden Kommandos beigebracht, die er später befolgen muss. „Nicht den Kopf schütteln, wenn jemand auf dir sitzt! Heb das Bein! Halte still! Schwing deinen Rüssel nicht in meine Richtung!“ Unterstützt durch den Elefantenhaken. Die Füße der Babys sind zusammen gekettet. Flucht aussichtslos. Irgendwann geben sie auf.

Friedlicher ist es auf dem fast 40 Hektar großen Areal des Elefanten-Parks. Dass Hope nie durch das „Phajaan“ musste, hat er einer Frau zu verdanken: Sangduen Chailert. Wegen ihrer Statur nennen sie alle nur „Lek“, die Kleine. Schon als Kind kam sie mit den grauen Riesen durch ihren Großvater in Berührung. Als sie erlebte, wie sie gequält wurden, änderte sich ihr Leben. 1992 rettete sie den ersten Elefanten. Drei Jahre später gründete die 51-Jährige den Elephant Nature Park. Seitdem folgten viele Dickhäuter: Von Elefantenreitstationen, aus Zuchtanlagen, von Zirkussen, von der Straße oder vom illegalen Holztransport. Viele waren krank, als sie in den ENP kamen. Manche blind, auf Landminen getreten, drogenabhängig, verkrüppelt, verstümmelt, massakriert. „Wäre es anders, hätten die Besitzer sie nicht so billig verkauft“, sagt Lek und blickt langsam über das Gelände.

Touristen informieren sich zu wenig

Der Tourismus mit Elefanten boomt in ganz Asien. „Das Problem ist, dass sich die meisten – auch deutsche – Touristen zu wenig informieren“, sagt Lek. Sie wollen nah an einem Elefanten sein, ihn streicheln und auf ihm reiten. Was sie dabei nicht sehen, sind die vielen Narben auf dem Kopf des Elefanten, den Elefantenhaken in der Hand des Mahouts oder die scharfen Klingen hinter den Ohren der Elefanten, damit sie ihren Kopf nicht drehen können.

Gesponsert durch einen Texaner konnte Lek vor gut zehn Jahren auf größeres Land ziehen und baute immer mehr ihr Refugium für Elefanten auf. Mittlerweile helfen 40 Angestellte und viele freiwillige Helfer aus aller Welt. Sie kümmern sich um die derzeit 36 asiatischen Elefanten, die zwischen Gras und Fluss hin und her streifen. Zahlende Besucher, die tagsüber die Tiere baden und füttern können, helfen zusätzlich.

Unterwegs zum Fluss sind nun auch Jungbulle Hope und sein Mahout Gawn. Zielstrebig stapft das dreieinhalb Tonnen schwere und zweieinhalb Meter hohe Tier auf das erfrischende Wasser zu. Auf dem Rücken thront Gawn. Er ist der einzige, der den Jungbullen reiten darf; und Hope ist der einzige Elefant, der hier geritten wird. Der Grund: Der stürmische Jungbulle schüchtert die Elefantenkühe durch seine bloße Präsenz ein. Der Mahout soll den Bullen von ihnen fern halten. Aber sanft, mit Geduld. Gewalt gegen Elefanten ist im ENP streng verboten, die Mahouts arbeiten mit Futter-Belohnungen. „Hope zu führen ist eine große Verantwortung. Manchmal kann er ein guter Junge sein, manchmal nicht. Deshalb bin ich sehr stolz, dass ich ihn umsorgen und reiten kann ohne einen Elefantenhaken zu benutzen“, sagt Gawn.

Elefantenpark beherbergt auch Hunde, Ponys und Wasserbüffel

Gern würde Gründerin Lek noch mehr Tiere aufnehmen. Doch inzwischen gebe es sogar eine Warteliste, sagt sie. Denn nicht nur Elefanten finden bei ihr ein Zuhause. Der ENP quillt geradezu über vor hilfsbedürftigen Tieren, seit sie nach der großen Bangkok-Überschwemmung 2011 hunderten herrenlosen Hunden Zuflucht gewährt hat. Auch ein dreibeiniges Pony und 55 Wasserbüffel leben hier. Hinzu kommt der Elefanten-Nachwuchs: Fünf Babys wurden schon geboren. Ein Erfolg für das Konzept des Parks, da sich Elefanten nur in stressfreier Umgebung fortpflanzen.

Deshalb ist Lek immer auf der Suche nach neuem Gebiet und Grundstücken, die sie kaufen kann. Die Landbesitzer in der Gegend verlangen exorbitante Preise, weil der ENP so viele Touristen anzieht und sie ein gutes Geschäft wittern. Lek hat bereits 60 Hektar Land im Dschungel angemietet. Sie nennt es „Elephant Haven“. Ihr Ziel ist es, irgendwann alle kräftigen und gesunden Elefanten auf solches Land zu entlassen. Eingezäunt, geschützt, aber groß genug, damit sich Elefanten frei und naturgetreu bewegen können. Auch Hope könnte dorthin.

„Mit dem Holztransport hat der Mensch die Elefanten gezwungen, ihren eigenen Lebensraum zu zerstören“

 Der Jungbulle genießt mittlerweile das kühle Nass, saugt literweise Flusswasser mit seinem Rüssel auf und sprüht es sich über den Rücken. Auch Gawn ist patschnass. Am Ufer herumliegende Hunde schauen dem regen Treiben zu. Fast könnte man die Probleme vergessen: Vor 100 Jahren gab es noch allein 100.000 Arbeitselefanten. Heute zählen hier alle Dickhäuter zusammen nur noch 3.000, zwei Drittel davon sind zu einem Arbeitsleben verdammt. Besonders zynisch: Mit dem Holztransport hat der Mensch die Elefanten gezwungen, ihren eigenen Lebensraum zu zerstören. Mit dem Verschwinden der Elefanten geht auch die Zahl der Mahouts zurück. Alle, die Im ENP arbeiten, stammen aus dem Nachbarstaat Birma. Für Thailänder ist das nur selten eine Option: Keine Aufstiegschancen, schlechtes Gehalt.

„Das hat positive und negative Seiten“, erklärt Jodi Thomas. Die 49-jährige US-Amerikanerin lebt seit zehn Jahren im ENP. Sie kam als freiwilliger Helfer und ging nie wieder, unterstützt Lek, wo sie kann und liebt Elefanten wie Menschen. „Mit den Mahouts stirbt auch das Phajaan aus. Aber andererseits geht das Wissen im Umgang mit den Elefanten verloren, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde“, sagt sie und blickt über das weite Land bis zum Fluss, wo Hope und Gawn im Wasser spielen.

Elefantenbotschafter wollen die Welt alarmieren

Jodi koordiniert ein von Lek vor zweieinhalb Jahren ins Leben gerufenes Projekt: Elefantenbotschafter. Ihre Aufgabe und Ziel ist es, ein internationales Netzwerk an solchen Botschaftern aufzubauen, die in ihrer Heimat über die Misere und Gefahren des Asiatischen Elefanten aufklären. 100 Elefantenbotschafter arbeiten bereits mit dem ENP zusammen.

„Ich glaube an die Macht der Aufklärung“, sagt Lek und wird versuchen Asiens letzte Elefanten zu retten solange sie lebt. Bei den thailändischen Behörden kommt das nicht immer gut an. Während Lek auf globale Probleme aufmerksam machen will, fühlt sich die Regierung von ihrer Aufklärungsarbeit angegriffen. Lek macht aufmerksam auf das, was hinter den Kulissen passiert und regt zum Nachdenken an. Da sie Thailänderin ist, macht sie das in Thailand, erklärt Jodi. Die Bedrohung der Elefanten gibt es aber weltweit.

Der Abend kommt und endlich kühlt es ab. Elefantenbulle Hope bekommt in seinem Gehege für die Nacht noch ein paar Bündel Mais von Gawn. Was die beiden am nächsten Tag machen, weiß der Mahout noch nicht. Aber er weiß, dass er sich irgendwann verabschieden muss. Irgendwann, so hofft Gawn, wird er einen besser bezahlten Job für sich und seine Familie finden. Und irgendwann wird Hope in den Dschungel entlassen. Wer auch immer zuerst „Tschüss“ sagen muss – vermissen wird Gawn seinen Bullen auf jeden Fall.

Links zum Artikel: Der Elephant Nature Park Video des „Phajaan“ (Quelle : Die verstörenden Bilder wurden von Tierschützern auf Youtube gestellt.
Warum unsere Autorin die Elefanten nicht mehr vergessen kann, erfährst Du im
Autoren-Interview

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