Äthiopien

Der Hüter der zehn Gebote

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Wo ist die Bundeslade, in denen die biblischen zehn Gebote aufbewahrt werden? Die Äthiopier glauben: in ihrer heiligen Stadt Aksum. Dort darf sie nur ein Mann pro Generation zu Gesicht bekommen. Unser Autor Philipp Hedemann hat den Erben von Moses besucht.

Josua führt die Israeliten mit der Bundeslade über den Jordan, Gemälde von Benjamin West, 1800
Diese Reportage stammt aus Philipp Hedemanns Buch: Der Mann, der den Tod auslacht (DUMONT Reiseverlag)

Indiana Jones suchte 1936 in einem Abenteuerfilm die sagenumwobene Bundeslade im Auftrag der amerikanischen Regierung in Ägypten. Die Truhe, in der die in zwei Steinplatten geschlagenen Zehn Gebote aufbewahrt werden, sollte nicht den Nazis in die Hände fallen, die mit ihrer Macht die Weltherrschaft erlangen wollten.

Nach vielen Explosionen und Schlägereien und ein paar mittelmäßigen Scherzen gelangte »Indy« in einem U-Boot der Nazischergen schließlich mit der heiligen Truhe auf eine kleine Insel, erlebte dort, wie die Steintafeln den fiesen Nazis zwischen den Fingern zu Staub zerfielen und die entweihte Truhe in einer gewaltigen Feuersbrunst ihre zerstörerische Gewalt entfaltete.

Steven Spielbergs »Indiana Jones: Jäger des verlorenen Schatzes« gewann vier Oscars, war 1981 der erste der weltweit erfolgreichen Filme über den berühmtesten Archäologen Hollywoods. In Äthiopien war der Film hingegen kein Kassenschlager. Denn hier weiß jeder: Das ist alles Quatsch! Die Bundeslade mit den Zehn Geboten, die Moses von Gott empfangen hat, liegt in Aksum, der heiligen Stadt im Norden Äthiopiens. Dorthin bin ich mit einem Freund gerade im Geländewagen auf schlechten Straßen unterwegs.

Im Angesicht mit dem Hüter

In der heiligen Stadt hat nur ein einziger Priester Zugang zum Allerheiligsten. Und dieser Mann steht jetzt keine zehn Meter von uns entfernt. Gerade ist er aus der schlichten Kapelle herausgetreten, in der angeblich das wohl größte Mysterium des Christentums verwahrt wird. Kaiser Haile Selassie ließ die trutzige Kapelle der Kirche St. Maria von Zion erbauen, um die Truhe, um die so viel Tamtam gemacht wird, sicher zu verwahren. Doch mittlerweile regnet es durch die Decke. Notdürftig und nicht gerade standesgemäß haben die Hüter des Schatzes das Dach mit einer weißen Plastikplane abgedeckt. Es ist, wie so Vieles in Äthiopien, nur ein Provisorium.

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Das ist die Kapelle, in der die Bundeslade aufbewahrt sein soll. Foto: Philipp Hedemann

Direkt nebenan wird gerade die neue Kapelle errichtet, die den Schatz in Zukunft sicher beherbergen soll. Noch ragen die Baueisen aus dem Mauerwerk des grauen Rohbaus. Abba Gebre-Mesqel, der Hüter der Zehn Gebote, schaut vorbei, um den Baufortschritt an seinem zukünftigen Wirkungsort zu begutachten. Er ist der einzige Mensch seiner Generation, der die Bundeslade zu Gesicht bekommen darf.

Ich möchte unbedingt von ihm erfahren, wie sie denn nun aussieht, die Bundeslade. Kirchendiener Zemichael verschafft mir eine Audienz bei dem hageren, alten, bärtigen Mann. Das dachte ich zumindest. Doch als ich zu Abba Gebre-Mesqel vorgelassen werde, streckt er mir nur sein großes, hölzernes Kreuz entgegen, das ich küssen darf. Als ich nach der Macht der Bundeslade fragen möchte, wendet er sich ab und verschwindet wieder in der Kapelle, in der die mächtigste Kiste der Welt lagern soll. Fotografieren ist, na klar, auch verboten.

So sieht die Bundeslade aus

Der einzige lebende Mann, der die Bundeslade je mit eigenen Augen gesehen hat, spricht also nicht. Doch die Bibel verrät ziemlich genau, wie die Truhe aussehen soll. Im zweiten Buch Mose gibt Gott ihm klare Anweisungen, wie er die Truhe zu bauen habe. Im Alten Testament klingt die Bauanleitung so:

„Macht eine Lade aus Akazienholz; dritthalb Ellen soll die Länge sein, anderthalb Ellen die Breite und anderthalb Ellen die Höhe. Du sollst sie mit feinem Gold überziehen inwendig und auswendig, und mache einen goldenen Kranz oben herum. Und gieße vier goldene Ringe und mache sie an ihre vier Ecken, also dass zwei Ringe auf einer Seite seien und zwei auf der anderen Seite. Und mache Stangen von Akazienholz und überziehe sie mit Gold und stecke sie in die Ringe an der Lade Seiten, dass man sie damit trage; sie sollen in den Ringen bleiben und nicht herausgetan werden. Und du sollst in die Lade das Zeugnis legen, das ich dir geben werde.“

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So hat sich der Künstler Julius Schnorr von Carolsfeld die Bundeslade im 19. Jahrhundert vorgestellt.

So soll sie also aussehen, die Lade, die beim Auszug der Israeliten aus Ägypten unter Moses den Bund Gottes (daher der Name Bundeslade) mit dem Volk Israel symbolisieren sollte. Fragt sich nur, ob sie tatsächlich in der baufälligen Kapelle liegt, vor der wir stehen.

Denn dubiose Schatzsucher – von den Kreuzrittern bis zu Archäologen mit zweifelhaftem Ruf – wollen sie schon auf dem Tempelberg in Jerusalem, in einem Tempel in Unterägypten, in einer Höhle bei Qumran am Toten Meer, im Heiligtum Ngoma Lugundru in Simbabwe und in geheimen Gängen im Berg Neboin in Jordanien gefunden haben. Doch Kirchendiener Zemichael ist sich sicher: „Die Bundeslade ist hier. In Aksum.“ Selbst gesehen hat er sie natürlich nicht, doch er dient als Diakon seit Jahren dem Hüter der Zehn Gebote.

Salomon lockt Saba ins Bett

„Menilek, der Sohn der Königin von Saba und König Salomons brachte die Bundeslade von Jerusalem nach Aksum“, erklärt Zemichael uns. Laut dem „Kebra Negest“ (Ruhm der Könige), einem im 13. Jahrhundert in Äthiopien verfassten Bericht, erfährt die im 10. Jahrhundert vor Christus in Aksum regierende, sagenhaft schöne Königin von Sabba vom sagenhaft weisen König Salomon und besucht ihn in Jerusalem. Mit einem perfiden Trick lockt der schlaue König die schöne Königin ins Bett.

Das bleibt nicht ohne Folgen. Als die Monarchin nach Äthiopien zurückkehrt, wird Menilek geboren. Als dieser zweiundzwanzig Jahre alt ist, reist er nach Jerusalem. Der unverhofft zu Vaterehren gekommene Herrscher versucht, Menilek zum Bleiben zu überreden, bietet ihm die Thronfolge an. Doch Menilek will zurück zu seiner Mutter nach Äthiopien.

Salomon lässt den Sohn schweren Herzens ziehen, allerdings nicht ohne eine große Gefolgschaft. Auf der Heimreise erfährt Menilek, dass die Männer, die sein Vater ihm mitgegeben hat, ohne sein Wissen die Bundeslade mit den Zehn Geboten aus dem Tempel in Jerusalem haben mitgehen lassen. Als Salomon vom Diebstahl Wind bekommt, möchte er die Verfolgung aufnehmen, doch da wird Menilek auf wundersame Weise mit der Bundeslade nach Hause geflogen. Soweit, so logisch!

Siebenfache Kraft der Sonne

Wenn die Bundeslade also nach Aksum geflogen ist, warum darf sie dann niemand außer Abba Gebre-Mesqel sehen, frage ich seinen Diener. „Wir beschützen euch vor der Bundeslade, nicht die Bundeslade vor euch“, sagt Zemichael geheimnisvoll. Laut dem Kirchendiener soll die Truhe die siebenfache Kraft der Sonne besitzen. Wer sie mit eigenen Augen sähe, würde sofort erblinden, erlahmen und schließlich sterben. Ein bisschen wie bei „Indiana Jones“.

Nur der jeweils von seinem Vorgänger auf dem Totenbett auserwählte Priester ist immun gegen die Wundermacht der Truhe. Alle anderen Menschen kann sie zerstören. Da mit dem Raub der Bundeslade die göttliche Gegenwart und Gnade von Israel auf Äthiopien übergegangen und Aksum Jerusalem als geistliches Zentrum der Welt abgelöst haben soll, gibt es natürlich viele Neider. In Äthiopien erzählt man sich gerne die Geschichte, dass selbst der nicht gerade für Zimperlichkeit bekannte israelische Geheimdienst Mossad schon versucht haben soll, die Bundeslade zurück nach Jerusalem zu bringen. Natürlich ohne Erfolg.

Cover
Weitere äthiopische Abenteuer gibt es in Philipp Hedemanns Buch

Um Geheimdienstler, neugierige Touristen und Hobbyarchäologen vor sich selbst zu schützen, würden die Hüter der Bundeslade offensichtlich ziemlich weit gehen. Rund um die Kapelle, in der die Truhe verwahrt wird, sitzen Polizisten in blauen Tarnfleckanzügen mit Kalaschnikows auf dem Schoss. „Wenn jemand versuchen würde, in die Kapelle einzudringen, würden sie notfalls schießen. Zunächst auf die Beine, wenn das nicht reicht, auch auf den Oberkörper“, sagt Zemichael.

Glaube als Gewissheit

Ich frage ihn, ob er verstehen könne, dass viele Ferenji (so nennt man in Äthiopien weiße Ausländer)  Zweifel daran hegen würden, ob die Bundeslade überhaupt in der Kapelle in Aksum liege. „Ja“, antwortet der fromme Diener. „Aber das ist euer Problem, nicht unseres. Wir wissen ja, dass sie da ist.“

Es ist diese Gewissheit, die das oftmals nicht einfache Leben in Äthiopien manchmal einfacher macht. Ich kenne einen äthiopischen Ingenieur, der seinem Gebet mehr vertraut als seinen statischen Berechnungen. Ich kenne einen Äthiopier, der Biologie studiert hat und überzeugt ist, dass wir von Adam und Eva abstammen und nicht von Lucy, der rund 3,2 Millionen Jahre alten Äthiopierin, deren Skelettreplik wir uns gemeinsam im Museum in Addis angeschaut haben.

Ich habe Historiker getroffen, die eher mündlich überlieferten äthiopischen Mythen vertrauen als naturwissenschaftlichen archäologischen Untersuchungsmethoden. Ich kenne einen äthiopischen Arzt, der in Amerika studiert hat und auf die Heilkraft des heiligen Wassers schwört. Ich habe viele äthiopische Freunde, die Mitleid mit mir haben, weil mir ihre Gewissheiten fehlen. Manchmal beneide ich sie.

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