Von Sklaven zu Iranern

Die Afro-Iraner

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In den südlichen Provinzen des Iran leben auch Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Die afro-iranische Minderheit bewahrt bis heute afrikanische Traditionen. Der Fotograf Mahdi Ehsaei hat einige Iraner*innen mit afrikanischen Vorfahren getroffen. Unsere Autorin Delia Friess hat ihn zu seiner Arbeit befragt.

Trommelrhytmen und Gesang: Auf den Zuschauertribünen eines Fußballspiels in der iranischen Stadt Shiraz herrscht eine ausgelassene Stimmung. Die Menschen feiern gemeinsam.

Unter den Fans der Mannschaft aus Hormozgan fällt dem deutsch-iranischen Fotografen Mahdi Ehsaei ein Iraner auf, der das Spiel auf eine ihm neue Art und Weise anfeuert. Diesen Moment hielt Ehsaei mit seiner Kamera fest.

Der 27-Jährige lebt in Deutschland und verbrachte den Sommer bei seinen iranischen Verwandten. Er hat sich dort weiter umgehört und so von der Geschichte der Afro-Iraner erfahren.

Anschließend machte er sich auf in die südiranische Provinz Hormozgan am Persischen Golf, wo diese Bilder von Afro-Iranern entstanden. Sie erschienen als Fotoserie mit dem Titel “Afro-Iran. The Unknown Minority“ und wurden bisher in Kenia, Deutschland, Kolumbien und Italien ausgestellt.

Weltseher: Wie haben Afrikaner die Kultur des Irans beeinflusst?

Mahdi Ehsaei: Afro-Iraner sind wie Azeri, Kurden, Araber, Belutschen oder Armenier Teil der multiethnischen Gesellschaft Irans. Gleichzeitig sind Traditionen aus der afrikanischen Kultur wie Tanz, Sprache, Kleidung und Musik erhalten geblieben, die teilweise auch typisch für den Süden des Irans geworden sind. Der Einfluss von afrikanischen Kulturen zeigt sich zum Beispiel in der Art des Tanzens, in den Rhythmen der regionalen Musikstile und in den für den Süden typischen bunten Kleidungsstil. Die Gesamtbevölkerung in den südlichen Provinzen Sistan, Baluchistan, Hormozgan und Khuzestanhat hat vieles aus der Kultur der Afro-Iraner übernommen. Etwa die Bandari-Musik, die überall im Iran sehr bekannt ist.

Wie selbstbewusst treten die Afro-Iraner im Iran auf?

Die Menschen, die ich getroffen habe, vor allem die Frauen, wollten sich erst nicht fotografieren lassen. Sie sehen sich als Iraner*innen und ihnen ist es unangenehm auf ihre Herkunft oder Hautfarbe angesprochen zu werden. Viele wussten noch nicht mal davon.

Sie haben also keine eigene Sprache und Religion?

Iraner mit afrikanischen Vorfahren sprechen die Sprachen, die üblicherweise im iranischen Süden gesprochen werden: hauptsächlich Persisch mit Banda ri-Dialekt und Arabisch. Ein Großteil der Afro-Iraner, die ich getroffen habe, ist auch muslimisch. Allerdings durfte ich an einem Ritual von Afro-Iranern teilnehmen, bei dem eine Kreolsprache gesprochen wurde: eine Kombination aus Persisch, Arabisch und Swahili.

Was für ein Ritual war das?

In einem Dorf bei Bandar Abbas konnte ich an einer »Zar«-Zeremonie teilnehmen – einer Art Teufelsaustreibung, bei dem sich die Teilnehmer mit Hilfe von Musik und Tanz in Trance versetzen, um betroffene Personen von psychischen Krankheiten zu befreien.

Wie sind Afrikaner überhaupt in den Iran gelangt?

Die Geschichte der Iraner mit afrikanischen Vorfahren ist eng mit den Grausamkeiten der Sklaverei verknüpft. Die Hafenstadt Bandar Abbas, die Hauptstadt der Provinz Hormozgan am Persischen Golf, gehört zu einer der 31 Provinzen des Irans. Diese Stadt und die nahegelegenen Inseln Hormuz und Qeshm im Persischen Golf wurden seit Anfang des zehnten Jahrhunderts durch Portugiesen und Spanier nach und nach besetzt. Später wurden die Hafenstädte und Inseln am Persischen Golf auch von niederländischen, britischen und auch arabischen Besatzern eingenommen. Diese Besatzer betrieben zu dieser Zeit einen Sklavenmarkt, nahmen Menschen aus Ostafrika gefangen, kastrierten die Menschen zum Teil und verkauften sie als Sklaven auf Sklavenmärkten. Auf diesen Wegen wurden viele Menschen aus den heutigen Ländern wie Äthiopien, Eritrea,, Madagaskar, Kenia, Somalia, Mosambik und Sansibar in den Iran verschleppt. Knotenpunkte für den persischen Sklavenmarkt waren auch Shiraz und Bushehr. Erst 1928 wurde die Sklaverei im Iran offiziell abgeschafft. Allerdings stammten nicht alle Sklaven im Iran aus Afrika und nicht alle Afrikaner gelangten durch Sklaverei in den heutigen Iran. Zum Beispiel kamen auch Seeleute vom afrikanischen Kontinent in den Iran.

Wie sah das Leben der afrikanischen Sklaven im Iran aus?

Als der iranische Staat vor allem in der Safawiden-Dynastie im 17. Jahrhundert und der Qajar-Dynastie im 19. Jahrhundert wuchs, wurde die Stadt Bandar Abbas Großhandelsposten. Das führte zu einer größeren Nachfrage von bezahlter Arbeit, als auch von Sklavenarbeit. Die Menschen wurden über Qeshm und Hormoz nach Bandar Abbas gebracht und schließlich im ganzen Land verkauft. In der Qajar-Dynastie mussten diese Menschen als Wächter in Harems oder den Frauen dienen. Männliche Sklaven wurden oft als Diener, Soldaten oder Arbeiter in Haushalten eingesetzt. Sklaven galten im Iran als Zeichen des Wohlstandes. Viele Frauen wurden als Dienerinnen oder auch als Konkubinen und für Harems gehandelt.

Verbesserte die Islamisierung des Landes die Situation der Menschen, die als Sklaven gehalten wurden?

In der islamischen Zeit wurden die Menschen konvertiert. Durch religiöse Gesetze wurden sie besser behandelt und ihre Freilassung gefördert. Dies steht im Widerspruch zur transatlantischen Sklaverei, bei der Sklaven als persönliches Eigentums ohne Rechte betrachtet wurden. Trotzdem ist Sklaverei in jeder Form grausam.

Wie gut ist die Geschichte der Afro-Iraner erforscht?

Weder in Deutschland noch im Iran gibt es viele Quellen oder verifizierte Zahlen. Einer der wenigen Experten war der iranisch-armenisch-georgische Fotograf Antoin Sevruguin (1830-1933). Er fotografierte schon damals die vielen verschiedenen ethnischen Gruppen des Landes. Es gibt außerdem zwei Dokumentarfilme über die Minderheit: „Afro-Iranian Lives“ und „The African-Baluchi Trance Dance“.

Herrscht ein Mangel an Aufarbeitung der Sklaverei im Iran?

Im Iran wird die Multiethnizität zwar im Geschichtsunterrichts vermittelt. Eine politische oder mediale Repräsentation der afro-iranischen Minderheit fehlt jedoch noch. Immerhin habe ich während meiner Reise keine Diskriminierungen von Afro-Iranern erlebt. Trotzdem kann ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen, dass es keine gibt. Viele Iraner mit afrikanischen Vorfahren leben jedenfalls auch heute noch in ärmlichen und prekären Verhältnissen.

Was geschah mit den Afro-Iranern, nachdem die Sklaverei abgeschafft wurde?

Nach der Abschaffung der Sklaverei im Iran 1923 bildeten Afrikaner und ihre Nachkommen ihre eigenen Gemeinden und setzten ihre afrikanischen Traditionen in Musik, Tanz, Kleidung und oralen Überlieferungen fort. Die Menschen, die im 19. Jahrhundert in den Iran kamen, ließen sich hauptsächlich entlang der Golfküste nieder. Heute leben sie zum Teil immer noch dort, teils in ärmlichen Verhältnissen, und arbeiten als Seemänner, Fischer oder Landarbeiter auf Dattel- und Zuckerplantagen. Die Mehrheit der Afro-Iraner lebt in kleinen, ärmeren Vierteln der Stadt Bandar Abbas und in den benachbarten Städten und Dörfern wie Minab und Isin.

Gibt es auch überregional bekannte Persönlichkeiten mit afrikanischen Vorfahren?

Da dieser Bevölkerungsanteil an den Grenzen des Irans lebt, wo die Bevölkerung eher ärmer und weniger mobil ist, wird er wirtschaftlich, politisch und kulturell von vielen Medien nicht repräsentiert. Es gibt allerdings auch bekannte Persönlichkeiten wie die Musiker Saeid ShanBezadeh, Morteza Karimi und Carlos (Hosein Ghodsi Nezhad) oder Schauspieler wie Reza Daryaie. Auch Sportler wie Mehrab Shahrokhi und Abdol Reza Barzegari, Spieler der iranischen Fußballnationalmannschaft der Siebzigerjahre und Achtzigerjahre, oder der ehemalige iranische Sprinter Peyman Rajabi sind sehr bekannt.

Sind die Afro-Iraner ein Beispiel der Unterdrückung einer Minderheit in der iranischen Gesellschaft?

Nein, im Gegenteil. Für mich sind sie ein Beispiel für die Vielfalt und das friedliche Zusammenleben in der iranischen Gesellschaft heute. Und eben auch für einen Aspekt des Irans, der nur selten in westlichen Medien vermittelt wird.

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