Die Opium-Bauern vom Sinai

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Seit der blutigen Revolution 2011 bleiben in Ägypten die Touristen aus. Ein harter Schlag für die Beduinen auf der Sinai-Halbinsel. Viele von ihnen haben damit ihre Haupteinnahmequelle verloren. Ihre Alternative ist der Anbau von Opium.

Als Abu Saleh* seine Kamele zum Schlachter brachte, wusste er, dass es kein Zurück mehr gibt. Obwohl der stämmige Mann ihm nur einen Bruchteil des Geldes bot, das die Tiere eigentlich wert waren, blieb dem Beduinen keine andere Wahl. „Was hätte ich tun sollen“, sagt er, „ich hätte sie nicht weiter halten können“.

Abu Saleh lebt im Süden der ägyptischen Sinai-Halbinsel, in der Nähe der Badeorte Scharm el-Scheich und Dahab. Früher hat er hier mit Touristen Safaritouren unternommen und damit seinen Lebensunterhalt verdient. Deutsche, Franzosen, Engländer und Amerikaner saßen auf den Rücken seiner Kamele. Heute kommen keine Touristen mehr. Und dort, wo er früher mit ihnen entlang ritt, wächst jetzt Opium.

Jede Saison kommen neue Felder hinzu

Seit zwei Jahren baut Abu Saleh den Stoff an. Fast jeden Tag fährt er mit seinem Toyota Pick-up Truck in die Wüste, um nach seinen Pflanzen zu sehen. Straßen gibt es hier nicht. Doch er weiß genau, wo es langgeht. Nach wenigen Kilometern tauchen die ersten Felder auf. Allein bis zu seiner Anbaufläche passiert er 13 Opiumplantagen. Insgesamt weiß er von etwa 100 Feldern in der nahen Umgebung. „Vor drei Jahren gab es hier noch kein einziges“, sagt er, „jede Saison kommen neue hinzu“.

Wie Abu Saleh geht es vielen Beduinen. Sie alle haben als Köche in Hotelanlagen gearbeitet, als Tourguides und als Musiker, die abends traditionelle Beduinenmusik für Urlauber gespielt haben. Doch seit dem Beginn der Revolution 2011 meiden Touristen Ägypten als Reiseziel. Im vergangenen Jahr reisten knapp 9,5 Millionen Menschen in das Land. 2010, im Jahr vor der Revolution, kamen noch 14,7 Millionen. Seitdem fällt die Zahl jedes Jahr, auch für 2014 sind die Prognosen düster.

Ein Beduine überprüft, ob der Schlafmohn reif für die Ernte ist. Foto © Theresa Breuer
Aus dem Saft des Schlafmohns wird später Heroin hergestellt. Foto © Theresa Breuer
Abu Saleh sorgt sich, dass das Militär seine Opiumfelder zerstört: "Dann könnte ich meine Familie nicht mehr ernähren." Foto © Theresa Breuer
Abu Saleh und seine Kollegen beim Tee: Sie alle haben ihre Arbeit verloren, seit Touristen den Sinai meiden. Foto © Theresa Breuer
Abu Saleh vor seinem Opiumfeld: Er sagt, er wisse nicht, dass aus Opium Heroin hergestellt wird. Foto © Theresa Breuer
Neben seinem Zelt gräbt Abu Saleh ein Loch, um darin Brot fürs Mittagessen zu backen. Foto © Theresa Breuer
Einer von Abu Salehs jugendlichen Helfern knetet Teig für Brot, das die Beduinen im Feuer rösten. Foto © Theresa Breuer
Der weiße Saft verfärbt sich an der Luft braun, später kann daraus Heroin gewonnen werden. Foto © Theresa Breuer
Die Opiumfelder im Süden des Sinai liegen nur wenige Kilometer von der Straße entfernt. Früher sind hier Touristen auf Kamelen durchgeritten. Foto © Theresa Breuer
Die Idylle trügt: Das rosa-lila Blumenmeer wird vielen Heroin-Abhängigen den Tod bringen. Foto © Theresa Breuer

Touristen fürchten den Sinai

Wie das ägyptische Finanzministerium jüngst mitteilte, ist die Besucherzahl im Januar und Februar im Vergleich zum Vorjahr wiederum um knapp 30 Prozent eingebrochen. Für viele Familien ist das eine Katastrophe, denn der Tourismus ist der Motor der ägyptischen Wirtschaft. Direkt und indirekt hängen von ihm rund vier Millionen Arbeitsplätze ab – und damit etwa 16 Millionen Familienmitglieder. Keine Region hat es so hart getroffen wie den Sinai.

Wenige Meter von der asphaltierten Straße entfernt, die in den 50 Kilometer entfernten Badeort Dahab führt, sitzen einige Beduinen in einer heruntergekommenen Hütte. Die Stimmung ist gedrückt. In der Ecke kniet ein junges Mädchen. Es hat einen kleinen Teppich vor sich ausgebreitet, darauf liegt handgefertigter Schmuck, den niemand kauft.

„Vor der Revolution kamen mindestens 60 Touristen am Tag“, klagt ihre Großmutter, die daneben sitzt. Sie hätten sich für die Safaris mit Essen eingedeckt und Souvenirs gekauft. „Heute kommt niemand mehr.“ Normalerweise wäre im März die beste Zeit für Wüstentouren. Das Wetter ist schon warm, aber die Sommerhitze ist noch nicht über die Halbinsel hereingebrochen.

Von der Revolution gezeichnet

Von hier aus hat auch Abu Saleh früher seine Touren zum Katharinenkloster begonnen, dem ältesten bewohnten Kloster des Christentums. Der Beduine ist 30 Jahre alt, doch er sieht älter aus. Obwohl einen seine Augen freundlich anblicken, wirkt er vom Leben in der Wüste und in den Bergen gezeichnet: die Zähne sind schwarz verfärbt, seine Füße und Hände voller Schwielen. Wenn er spricht, klingt seine Stimme resigniert. Die drei Jahre des Umbruchs in Ägypten haben Spuren hinterlassen.

„Dabei kenne ich den Tahrir-Platz nur aus dem Fernsehen“, sagt er, „ich war noch nie in Kairo“. Es frustriert ihn, dass sein Leben so drastisch von Ereignissen beeinflusst wurde, von denen er sich weit entfernt fühlt. „Was haben wir mit irgendwelchen Revolutionen zu tun?“, fragt er und meint damit die Gemeinschaft der Beduinen. „Keine Regierung hat sich jemals um uns gekümmert, und das wird sich auch mit der nächsten Regierung nicht ändern, egal, wer an die Macht kommt.“

Vom Tourismus zum Opium

Abu Saleh hat sein ganzes Leben im Sinai verbracht. Hier sind Großfamilien noch die Norm, er hat elf Brüder und Schwestern. Seine Familie gehört zu den Muszeina-Beduinen, dem zweitgrößten Stamm im Süden der Halbinsel. Das Hauptgeschäft der Muszeina war bisher der Tourismus. Auch Abu Saleh hat schon als kleiner Junge am Strand Steine und Handarbeiten an Touristen verkauft. Bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr ist er zur Schule gegangen, danach hat er mit den Safaris begonnen.

Die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr der Touristen hat er aufgegeben. Vor wenigen Wochen erst hat das Auswärtige Amt die Reisewarnung für den Sinai verschärft. Mitte Februar war eine Bombe in einem Bus an der ägyptisch-israelischen Grenze detoniert. Daraufhin haben die großen deutschen Reiseanbieter die noch verbliebenen Touristen ausgeflogen.

Drei südkoreanische Touristen sowie der ägyptische Busfahrer waren bei dem Attentat ums Leben gekommen. Zu dem Anschlag hatten sich die Islamisten von Ansar Bait al-Maqdis bekannt. Ein alarmierender Vorfall, denn bis dato hatte die Terrorgruppe hauptsächlich im Nordsinai agiert und Ziele ägyptischer Sicherheitsbehörden angegriffen. Nun haben sie angekündigt, auch Touristen ins Visier nehmen zu wollen.

Rosa und lila

Abu Salehs Feld liegt in einem flachen Tal, das von schroffen Bergen umringt ist. Er hat zwei Jungs angestellt, die zwischen den Pflanzen umherlaufen, sie bewässern und prüfen. In diesen Tagen blühen sie rosa und lila, sie stehen kurz vor der Ernte. Sechs Monate wächst das Opium, dann liegen die Felder bis September brach.

In der Mittagspause sitzt Abu Saleh mit den Jungs in einem kleinen Zelt, wo sie Brot nach Beduinenart backen. Dafür legen sie einen Teigfladen aus Wasser, Mehl und Salz direkt in glühende Holzkohle. Einige Minuten später klopfen sie das fertige Brot mit Stöcken ab. Zu dem noch immer leicht staubigen Fladen gibt es Schafskäse und süßen Tee. So verbringen sie hier die Tage. Bis das Opium reif ist.

Beduinen dürfen kein Land besitzen

Das Land, das sie bestellen, gehört ihnen nicht, denn Beduinen dürfen keinen Grund besitzen. Traditionell ist es so, dass jeder Beduinenstamm ein bestimmtes Gebiet kontrolliert. Will jemand auf dem Land etwas anbauen, legt er Steine um das Feld. Die Markierung signalisiert, dass es von jemandem beansprucht wird.

Dass Beduinen nach ägyptischem Gesetz kein Land besitzen dürfen, hat auch seine Vorteile: Selbst wenn das Militär Felder findet und diese zerstört, können sie nur selten jemanden dafür zur Rechenschaft ziehen – schließlich gehört das Land offiziell dem Staat und nicht den Bauern.

Doch das Militär scheint sich in diesen Tagen ohnehin wenig für die Opiumbauern zu interessieren. „Vor zwei Monaten haben Jeeps die Gegend hier patrouilliert“, sagt Abu Saleh. Die Arbeiter auf den Feldern hätten sich dann in den Bergen versteckt. „Doch zerstört haben sie zum Glück nichts.“

Tolerieren die Behörden den Opium-Anbau?

Es gibt verschiedene Theorien, warum die Beduinen derzeit unbehelligt Opium anbauen können. Eine ist, dass Militär und Regierung aufgrund der politischen Umbrüche momentan andere Sorgen haben. Viele Opiumbauern glauben außerdem, dass die Behörden den Anbau tolerieren, weil sie schon genug Probleme mit Terroristen im Sinai haben und nicht auch noch frustrierte, arbeitslose Beduinen gegen sich aufbringen wollen. So steht in dem in dem Anfang März erschienenen Bericht der ägyptischen Antidrogenbehörde, dass seit 2011 „wegen Sicherheitsbedenken“ keine Felder mehr zerstört wurden.

Eine konkrete Zahl, wie viel Opium insgesamt im Sinai angebaut wird, gibt es nicht. Experten sind sich jedoch einig, dass sie im Vergleich zu Afghanistan und dem „Goldenen Dreieck“ – bestehend aus Myanmar, Laos und Thailand – verschwindend gering ist. Laut den Vereinten Nationen haben im vergangenen Jahr allein Laos und Myanmar knapp 900 Tonnen Opium produziert, 18 Prozent der globalen Produktion. Und das ist noch wenig im Vergleich zu Afghanistan: 2013 wurden hier 5500 Tonnen Opium produziert.

Gerüchte machen die Runde

Doch trotz der geringen Größe bleibt das Opiumgeschäft auch für die Bauern im Sinai heikel. Einige Beduinen erzählen, wie das Militär morgens ihren Feldern gefährlich nahe gekommen sei, und Gerüchte machen die Runde, dass Soldaten Felder zerstört hätten. Abu Saleh sagt: „Wenn sie jetzt kämen, würde ich alles verlieren.“

Der Beduine hat seine gesamten Ersparnisse in sein Feld gesteckt, 340 Quadratmeter misst es. Opium ist für die Bauern kein lukratives Geschäft, aber immer noch ertragreicher als Tomaten oder Gurken. Gemüse anzubauen würde sich in der Wüste nicht rechnen, da den geringen Verkaufserlösen hohe Bewässerungskosten gegenüber stünden. Die Beduinen müssen zur Bewässerung tiefe Brunnen betreiben, um an salzarmes Wasser zu gelangen.

Der Gewinn? Ein Witz.

Wenn alles glatt läuft, wird Abu Saleh in dieser Saison knapp fünf Kilo rohes Opium ernten können. Für ein Kilo zahlen ihm Dealer etwas weniger als tausend Euro. Doch den Gewinn muss er sich mit seinem Geschäftspartner teilen. Dieser hatte das Feld zur Verfügung gestellt, im Gegenzug bewirtschaftet es der 30-Jährige. Abzüglich der Kosten für Samen, Bewässerung und Hilfskräfte rechnet er mit einem Gewinn von knapp 600 Euro. „Ein Witz“, sagt Abu Saleh, „als Tourguide habe ich im Jahr viel mehr verdient.“

Abu Salehs Haus ist ein karger Betonbau in einem kleinen Dorf, durch das Kamele, Esel und Ziegen laufen. Das Leben eines Drogenbarons stellt man sich anders vor. In den Zimmern stehen keine Möbel, Licht gibt es nur in der Küche und im Wohnzimmer, in dem Teppiche als Sitzgelegenheiten dienen. Er hofft, dass er sich über den Sommer mit Gelegenheitsjobs durschlagen kann, um seine Frau und seine vier Kinder zu ernähren.

„Wir sind einfach zu unerfahren“

Einige Kilometer weiter teilen sich Hamed, Mahmoud und Mohammed ein Feld. Auch sie sehnen sich nach der Zeit, als noch die Touristen in den Sinai strömten. Sie sagen, sie hätten gute Arbeit gehabt, als Musiker und Köche in Hotelanlagen. Auch ihre größte Sorge ist es, dass sie mit dem Opiumanbau nicht genug Geld zum Leben haben werden. „Wir sind einfach zu unerfahren“, sagt Hamed, 26, „es ist das erste Mal, dass wir Opium anbauen.“

Hamed steht am Feldrand und ritzt die Samenkapsel einer Pflanze mit einer Rasierklinge an. Dicker, weißer Saft quillt aus ihr heraus. Im getrockneten Zustand kann er zu Heroin verarbeitet werden. Doch damit wollen die Männer im Sinai nichts zu tun haben.

„Wenn wir das Opium geerntet haben, kommen Dealer aus Oberägypten und kaufen es uns ab,“ sagt sein Partner Mohammed, 37. Sie sagen, sie wüssten nicht, was danach mit dem Stoff passiert. Ihnen scheint auch nicht bewusst zu sein, dass aus Opium Heroin entstehen kann. „Das kann nicht sein, das muss eine andere Pflanze sein“, sagt Hamed, „Opium ist doch gut, es lindert Schmerzen.“

Seit der Revolution sind die Drogen-Preise gestiegen

Tatsächlich gibt es keine Indizien dafür, dass Heroin in Ägypten im großen Stil hergestellt wird. Früher ging das meiste Opium nach Israel, wo es weiterverarbeitet wurde. Doch seit den Unruhen in Ägypten sichert Israel seine Grenzen wieder verstärkt und unterbindet damit weitgehend den Drogenhandel. Experten messen dies auch an einem Fakt: Seit der Revolution 2011 sind die Preise für Marihuana, Haschisch und Opium in Israel massiv gestiegen.

Drogenanbau ist den streng gläubigen Beduinen nach der Lehre des Islam eigentlich verboten. Auch die Stammesführer haben jahrelang versucht, den Anbau zu unterbinden. Die Beduinen erzählen, wie die Clanchefs immer wieder darauf hingewiesen haben, dass die Stammesmitglieder ihr Geld im Tourismus machen sollen.

Hoffen auf die Touristen

Abu Saleh sagt bitter: „Wir lassen uns von ihnen nichts mehr sagen. Schließlich können sie uns keine Alternativen bieten. Und was sollen sie schon machen? Wir haben doch kaum noch etwas zu verlieren.“

Hamed, Mahmoud und Mohammed sehen das genauso. Aber wenn sie die Möglichkeit hätten, würden sie alle sofort wieder einer legalen Tätigkeit nachgehen. Der 24-jährige Mahmoud sagt: „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass die Touristen zurückkommen und ich wieder als Koch arbeiten kann.“

*Name geändert

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