USA: Surf-Kultur in Kalifornien

„Makai, Dude!“

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In Kalifornien ist Surfen nicht nur Wassersport, sondern Kultur. Im Küstenort Oceanside gibt es dafür sogar ein Museum. Neben einem Hai-Gebiss und jeder Menge Brettern hütet das Haus ein ganz besonderes Exponat.

Von der Küste vor San Francisco runter nach Los Angeles bis zur mexikanischen Grenze nach San Diego: In Rudeln lauern Surfer auf ihren Brettern und starren auf den Pazifik. Plötzlich: Tzzzschhh! Kurz vor dem zischenden Geräusch der brechenden Welle weiß jeder Surfer: Jetzt geht’s los. Aufstehen, Gleichgewicht halten und die Welle reiten wie ein Cowboy den Bullen.

„Awesome, Dude!“, rufen sich die Wellenreiter am Ufer zu, egal ob langhaarig und durchtrainiert oder moppelig und kahlköpfig. Mit triefenden Surfbrett unterm Arm, die Haut durch jahrelange Sonnenbestrahlung ganz golden, kommen sie breit lächelnd und pitschnass aus dem Ozean getrottet. „Super, Kumpel!“ reicht hier als Übersetzung wohl nicht aus.

Die Hüterin des Surf-Erbes

Denn Surfen ist in Kalifornien nicht nur Wassersport. Es ist Lebensgefühl, Mentalität, ja sogar Teil des kulturellen Erbes. Das findet zumindest Jane Schmauss. Die Dame in der bunten Blümchenbluse ist hauptberufliche Hüterin dieses Erbes – als  Mitbegründerin und Historikerin des „California Surf Museums“.

Das Gebäude in der Küstenstadt Oceanside ist nicht größer als eine Fastfood-Filiale, hat ein wellenförmiges Dach und einen Metallsurfer als Logo an der Fassade. Innen stehen Surfbretter in allen Farben, hübsch ausgeleuchtet wie Skulpturen in einer Galerie. Dazu Erklärtafeln und historische Fotos von tollkühnen Männern und Frauen, Legenden der Surf-Geschichte.

Surfer gehören in kalifornischen Küstenorten zum Alltagsbild. © Markus Huth
Kalifornien machte Surfen zu einer Industrie und das Image vom langhaarigen, gebräunten Wellenreiter zum weltweiten Exportschlager. © Markus Huth
Sogar Verkehrsschilder mit Surfern darauf gibt es. © Markus Huth
Die Hüterin des kalifornischen Surf-Erbes: Jane Schmauss ist Historikerin am "California Surf Museum". © Markus Huth
Im Museum sind historisch wichtige Surfbretter wie Skulpturen ausgestellt. © Markus Huth
In den Anfangstagen des Surfens waren die Bretter noch lang und schwer. © Markus Huth
Moderne Surfbretter sind kürzer, spitzer, schneller und haben Steuerflossen am Boden. © Markus Huth
Doch egal welches Brett: Nass wird jeder Surfer. © Markus Huth
Auch das Gebiss eines Tigerhais bewahrt Schmauss im Museum auf. © Markus Huth
Ein Hai hatte 2003 auch die 13-jährige Surferin Bethany Hamilton vor Hawaii attackiert und biss ihr den Arm ab. Hamilton schaffte es einarmig zur Profisurferin und ihr Unfallbrett steht heute im Museum. © Markus Huth
Der Tigerhai biss ein großes Stück des Surfbretts heraus. © Markus Huth
Auch vor Kalifornien gibt es Haie. Das Risiko einer Attacke ist aber gering. © Markus Huth
Die Liebe zu Wellen lässt Surfer einfach nicht los. © Markus Huth
Surfer sind Rudeltiere. © Markus Huth
Aber eine Welle kann immer nur ein Surfer reiten. © Markus Huth
Der Begründer des modernen Surfens: In der "Surf City" Huntington Beach haben sie Duke Kahanamoku ein Denkmal errichtet. © Markus Huth

Museum platzt aus allen Brettern

„Surfen hat die kalifornische Identität mitgeprägt“, behauptet die Historikerin. Statt zwischen Bücherregalen, steht ihr Schreibtisch zwischen Surfbrettern. Langen und kurzen, bunten und schmucklosen, spitzen und abgerundeten. Über 300 Bretter befinden sich im Museum, einige in den Ausstellungen, die meisten im Lagerraum. Das Museum platze inzwischen aus allen Nähten, sagt Schmauss. Was vor fast 30 Jahren als Freundschafts-Projekt von ein paar Surf-Liebhabern begann, ziehe heute immer mehr Besucher an. Weit über 500.000 Menschen hätten das kleine Museum seitdem besucht.

Als Schmauss, damals noch Restaurant-Besitzerin, und ihre Freunde 1986 anfingen, ein paar alte Bretter in ihrem Lokal auszustellen, war die Erinnerung an die Anfänge der kalifornischen Surfwelt noch präsent. „Geld spielte für die ersten Surfer keine Rolle. Wir wollten die Erinnerung dieser Pionierphase für die nachfolgenden Generationen bewahren“, sagt Schmauss. Denn heute ist Surfen zu einer milliardenschweren Industrie geworden.

Teures Brett

Es gibt Wettkämpfe, Werbung, vermarktbare Stars und Mode. Bretter für jede Wellen- und Wetterlage werden industriell gefertigt und weltweit verkauft, genauso wie Neoprenanzüge. Experten-Schätzungen zufolge surfen in den USA um die zwei Millionen Menschen, weltweit könnten es über 20 Millionen sein. „Es ist ein riesiger Markt geworden“, sagt Schmauss. Und einige Museums-Exponate, die die Vorbesitzer damals auf den Müll werfen wollten, sind heute viel Geld wert.

Zum Beispiel das von Kratzern und Rillen durchfurchte Brett am Beginn der Ausstellung „Eine kurze Geschichte der Surfbretter“. Das drei Meter lange Teil aus Mammutbaumholz sieht aus wie ein gigantisches Bügelbrett. Nahe der Spitze ist das Wort „Makai“ eingraviert. „Das ist Hawaiianisch und bedeutet: Zum Meer“, erklärt Schmauss und fügt hinzu: „Falls es authentisch ist, ist es heute über 15.000 Dollar wert.“

Der Vater des modernen Surfens

Grund für den stolzen Preis ist der Mann auf dem Schwarzweiß-Foto daneben: Mit nacktem Oberkörper und altmodischen Badehosen bis unter die durchtrainierte Brust lächelt er in die Kamera :„Duke Kahanamoku – Der Vater des modernen Surfens“, steht über dem Foto. Der 1890 in Honolulu geborene Surfvater, sagt Schmauss, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit der Schöpfer des Bretts. Gesichert ist es aber nicht, da er es leider nicht signiert hat.

Als Kahanamoku surfte, waren die Bretter viel länger und schwerer als die heutigen. Perfekt für gemächliche Langstrecken-Wellenritte, wie der Besucher im Surf-Museum erfährt. Auch dass das Surfen eine jahrhundertelange Tradition in Polynesien hat. Nach Kalifornien kam der Sport vor ziemlich genau 100 Jahren.

Im Juni 1914 heuerte ein Hawaiianer als Rettungsschwimmer im benachbarten Touristenörtchen Huntington Beach an. Im Gepäck hatte er ein zweieinhalb Meter langes Brett, womit er unter den staunenden Augen von Passanten auf den Wellen herumritt. Sogar die Lokalzeitung berichtete am nächsten Tag. Der Mann hatte bald Schüler und Kalifornien wurde die Wellenreiter nicht mehr los.

Die tragische „Mona-Lisa“

In allen kalifornischen Küstenorten sind sie inzwischen Teil des Alltags. Surfen wird in der Schule unterrichtet, Wettkämpfe ziehen tausende Zuschauer an die Strände und es gibt sogar Verkehrsschilder mit Surfern darauf. In Huntington Beach, genannt „Surf City“, steht heute eine Statue von Duke Kahanamoku. Und es gibt auch hier ein Surf-Museum. „Aber wir sind älter“, insistiert Jane Schmauss schroff und geht zügig zum nächsten Exponat: „Unsere Mona-Lisa.“ Die lächelt allerdings nicht.

Stattdessen scheint das Exponat, ein weiß-rotes-blaues Surfbrett, das Maul aufzureißen wie ein angreifender Hai. Tatsächlich hat ein Tigerhai ein Stück herausgebissen – und den Arm der darauf liegenden Surferin gleich mit. Das Schicksal der 13-jährigen US-Amerikanerin Bethany Hamilton hatte 2003 in der Szene für Aufsehen gesorgt.

„Surfer sind Kämpfer“

Auf dem besten Weg zur Profisurferin verlor sie bei einem Haiangriff vor Hawaii fast ihr Leben und schließlich den linken Arm. Dann passierte das Unglaubliche. Keine drei Wochen später stand das blonde Mädchen wieder auf einem Surfbrett. Auch einarmig schaffte Hamilton es zur Profisurferin, gewann zahlreiche Wettkämpfe und ist heute eine gefragte Motivationsrednerin.

„Surfer sind eben Kämpfer“, sagt Schmauss. Dem Hai dürfe man indes nicht böse sein. „Der hatte sie wahrscheinlich mit einer Meeresschildkröte verwechselt.“ Was auch immer die Absichten des Hais gewesen sein mögen: Das Surfbrett wollte Hamilton wegen der bösen Erinnerung nicht mehr in ihrer Nähe haben und hat es dem Museum geliehen. Und das, sagt Schmauss, obwohl ihr andere viel Geld dafür geboten hätten. Aber sie habe mit der Tragödie keinen Profit machen wollen.

Surfer leben gefährlich

Aus ihrem Arbeitszimmer holt die Surf-Historikerin ein Tigerhai-Gebiss und hantiert damit herum. „Fühlen Sie mal diese scharfen Zähne!“ Mit dem Ding erschrecke sie oft Kinder, erzählt sie, damit die im Ozean gut aufpassen. Denn auch vor Kalifornien gibt es Haie. Und manchmal auch stürmische See.

Im Einklang mit der Natur leben, das Hier und Jetzt genießen, weil es vielleicht kein Morgen gibt – das sei die Mentalität von Surfern. „Deshalb lassen manche die Arbeit auch mal liegen, wenn die Wellen gerade gut sind“, fügt Schmauss grinsend hinzu. Das Wort „faul“ käme ihr nie über die Lippen.

Gefährlicher Lieblingstrick

Derweil lauern draußen am Pier von Oceanside, keine 500 Meter vom Surf-Museum entfernt, zwei Dutzend Wellenreiter auf die nächste Welle. Die Abendsonne legt goldene Farbtöne auf das Wasser, in dem sich die Köpfe als dunkle Pünktchen mit den Wellen auf und ab bewegen.

Ein Mann mit blondem Bart, der aussieht wie ein tätowierter Wikinger, springt auf und gleitet schwungvoll zum Ufer. Kaum angekommen, schwimmt er samt Brett auch schon wieder „Makai“ – zum Meer. Doch den Lieblingstrick des kalifornischen Publikums schafft heute keiner: Wenn es einem Surfer gelingt, zwischen den hölzernen Pfeilern des Piers hindurchzugleiten, schreien alle besonders laut: „Awesome, Dude!“

© Markus Huth
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