Serbische Folklore in Österreich

Schlüpf in die Ledersandalen!

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Das hier sind die Füße der Europameister in serbischer Folklore. Sie gehören dem Verein „Kud Stevan Mokranjac“ aus Wien, der sich bei der Europameisterschaft in Banja Luka, Bosnien-Herzegowina, gegen 60 Konkurrenten durchgesetzt hat. Unsere Autoren haben die Tänzer begleitet und berichten, warum der Volksbrauch so wichtig für die serbische Gemeinschaft ist.

Ein Mädchen in einer gold verzierten Tracht und mit buntem Haarschmuck aus Silberketten und Federn zieht sich gestrickte Socken über die Knie. Sie bindet lederne Sandalen um ihre Knöchel, streicht ihr Kostüm glatt. Ihr Name ist Suzana Todic, sie ist 19 Jahre alt und Folklore-Tänzerin bei dem serbischen Verein „Kud Stevan Mokranjac“ aus Wien.

Um sie herum herrscht reges Treiben. In der einen Ecke der Garderobe stehen ein paar Jungs, schlüpfen in weiße, mit Blumen bestickte Hemden und helfen sich gegenseitig beim Festmachen des Bauchgürtels. Sie atmen tief ein und halten die Luft an, der Gürtel muss hauteng sitzen. Auf der anderen Seite probt eine Gruppe von stark geschminkten und in Trachten gekleidete Mädchen ein altes serbisches Volkslied.

Suzana richtet sich auf, blickt strahlend in ihr Spiegelbild und erneuert ihren pinken Lippenstift. Bis sie so aussieht, wie es für den Auftritt gedacht ist, braucht sie mindestens eine Stunde. „Das Anziehen und Schminken geht eigentlich schnell, die Frisur kostet am meisten Zeit“, so die 19-Jährige. Obwohl der Gesang im Hintergrund eine beruhigende Wirkung hat, ist die Stimmung im Umkleidezimmer konzentriert und angespannt. Eine der Sängerinnen läuft nervös im Raum hin und her, übt immer wieder den Text ein. „Sie ist aufgeregt, weil sie zum ersten Mal auf der Bühne singen wird“, erklärt Suzana.

Folklore kann man sich in etwa so vorstellen: Eine Gruppe von traditionell gekleideten Mädchen und Jungen performt eine Show, die alte Bräuche widerspiegelt. Manchmal geht es um Hochzeiten, Festlichkeiten oder um ein Neugeborenes. Das Ganze ist kombiniert mit altertümlichem Gesang, Gedichten und einem Volkstanz, der je nach Region eine andere Schrittfolge hat.

Auch das Aussehen der Trachten ist abhängig von der Gegend. Folklore ist auf dem ganzen Balkan verbreitet und beinhaltet die Tradition verschiedener ethnischer Gemeinschaften. In Wien hat sich eine eigene Subkultur entwickelt. In der gesamten ex-jugoslawischen Community ist Folklore ein Bestandteil für die Aufrechterhaltung alter Werte, doch vor allem in der serbischen Szene ist der Volksbrauch wichtig. So gibt es fünf große serbische Vereine in Wien: Stevan Mokranjac, Karadjordje, Branko Radicevic, Bambi und Jedinstvo.

„Kein simples Herumgehüpfe

Suzana selbst tanzt seit zwei Jahren bei „KUD Stevan Mokranjac“ im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Der Klub bereitet sich für einen Auftritt beim serbischen Fernsehsender „RTS“ vor. Mehrere Wiener Vereine sind anwesend, aber als Gewinner der diesjährigen Europameisterschaft in serbischer Folklore muss sich der Klub Stevan Mokranjac von seiner besten Seite zeigen. Im Herbst haben sie sich gegen insgesamt 60 Teilnehmer bei der EM in Banja Luka, Bosnien-Herzegowina, bewiesen und sind nun zum zweiten Mal infolge Sieger.

Mit 99 Punkten von 100 möglichen erreichten sie die höchste Punkte-Vergabe in der Geschichte. Auf die Frage, wie sie das geschafft haben, antwortet der Choreograph des Vereins, Milorad Runjo, folgendes: „Ich verlange viel Disziplin, es gibt nur fünf Minuten Pause in dem zweistündigen Intensivtraining.“ Das Training findet drei Mal die Woche statt, nur wer regelmäßig trainiert, darf auch mittanzen. Suzana erzählt, dass die Proben knallhart sein, die Tänzer müssten vollen Körpereinsatz zeigen. „Das ist kein simples Herumgehüpfe, nach zwei Stunden ist jeder von uns völlig erschöpft.“

„Folklore ist ein Teil von mir“

Der 36-jährige Choreograph Milorad hat als Kleinkind mit Folklore begonnen und leitete mit 14 seine erste Gruppe. „Bist du einmal in den Sandalen, bleibst du ein Leben lang in ihnen“, sagt er lachend. Suzana besucht sein Training regelmäßig. Seit sie mit 12 Jahren mit Folklore angefangen hat, kann sie sich ein Leben ohne nicht mehr vorstellen.

Die Tänzer touren oft durch ganz Europa, besuchen andere serbische Folklore-Vereine und tanzen bei verschiedenen Veranstaltungen. Die Reisen finanzieren sich die Tänzer selbst. „Ich identifiziere mich als Folklore-Tänzerin“, erklärt die junge Serbin. „Folklore ist einfach ein Teil von mir.“ Der Großteil ihres Freundeskreises tanzt, die Mitglieder und der Verein sind eng miteinander verbunden.

Einer von Suzanas Tanzpartnern, Ivan Ban, kann ihr nur zustimmen. Seit vier Jahren tanzt der Schüler bei dem Verein Stevan Mokranjac. „Tanzen ist alles für mich, es ist wie eine Sucht“, beschreibt der 18-Jährige seine Folklore-Liebe. Während er redet, schlüpft er in eine bestickte Weste, zieht seine Strümpfe weiter hoch. „Mein Leben dreht sich um Folklore, alles andere ist nebensächlich“, sagt Ivan. Vielen anderen in seinem Alter scheint es genauso zu gehen. Allein in dem Klub Stevan Mokranjac tanzen über 200 Personen.

Vor allem Kinder und junge Erwachsene haben Gefallen an der Tradition gefunden. „Sehr viele Eltern schicken ihre Sprösslinge zum Folklore, weil es ein sicherer Ort ist und so die serbische Tradition erhalten bleibt“, meint Sasa Bozinovic, stellvertretender Obmann des Vereins. Insgesamt gibt es fünf Gruppen, angefangen von den ganz Kleinen bis hin zu der Hauptgruppe. In der Hauptgruppe ist die Jüngste 15, der Älteste 25. Es gibt aber keine fixe Gruppe, die immer auftritt. Es kommt ganz darauf an, wer am besten tanzt, immer bei den Proben ist und wie viele Personen auf die Bühne sollen.

Tracht, Schritt, Musik

Der 45-jährige Stellvertreter erzählt weiter, dass der Gesamtwert der Trachten im fünfstelligen Bereich liegt. Es handelt sich um handgefertigte Einzelstücke, die am Balkan hergestellt wurden und bis zu 150 Jahre alt sind. Anhand der Kleidung erkennt jeder Folklore-Kenner, woher die vorgeführten Stücke stammen.

Zwei weitere Kriterien sind die Schrittwahl und die Musik. So sieht man anhand dieser drei Dinge, aus welcher Region des Balkans der Tanz gewählt wurde oder ob es sich um kroatische, bosnische oder mazedonische Vereine handelt. Suzana bestätigt diese Aussage. „Wenn ich die Melodie eines Tanzes höre, weiß ich, was für eine Schrittfolge gewählt wird“, ist sie sich sicher.

Bei dem Auftritt für das serbische Fernsehen hat sich KUD Stevan Mokranjac für einen vlachischen Tanz entschieden, der aus der Region der serbisch-rumänischen Grenze stammt. Es bleiben noch 20 Minuten, bevor die Show beginnt. Die Mimik des Choreographen wird streng, er befiehlt der Sängerinnen-Gruppe ein letzte Probe. Nebenbei weist er ein paar Jungs zurecht, deren Kappen schief sitzen. Er zieht die Schürze eines Mädchens enger, richtet ihren Haarschmuck. Alle müssen perfekt aussehen.

Er unterbricht die Sängerinnen, eine von ihnen kann den Text nicht ganz auswendig. Sie müssen von vorne anfangen. Danach ruft er: „Jungs und Mädchen, ich will euch nebeneinander stehen sehen!“ Die Tanzpaare platzieren sich in der kleinen Garderobe, halten sich an den Händen. Die Mädchen strahlen über beide Backen, die Jungs blicken stolz ins Nichts.

Mehr als nur ein Hobby

Nach stundenlangem Warten und Vorbereiten ist es soweit: Die EM-Sieger sind an der Reihe. Als die Gruppe die Bühne betritt, stimmen die Musiker des Vereins mit Trommel, Ziehharmonika und Flöte die Melodie eines vlachischen Liedes an. 20 Personen bewegen sich in gleichem Tempo, die bunt bestickten Trachten der Mädchen schwingen in der Luft. Ledersandalen berühren kurz den Boden, bevor sie wieder in die Höhe schnellen.

Einer der Jungs pfeift zwischendurch, die Mädchen lachen übers ganze Gesicht. Die Melodie wird schneller, ein kurzer, hoher Schrei ertönt während des Tanzes – alles Teil der Show. Das Publikum applaudiert, der Auftritt ist gut gelungen. Die Stimmung der Tänzer ist jetzt entspannt, sie marschieren direkt zur Garderobe, reden ausgiebig miteinander. „Ich kann es kaum erwarten, raus aus dieser Tracht zu sein“, sagt Suzana. „Sie ist zwar schön, aber nicht bequem.“ Am nächsten Tag findet wieder eine Probe statt, der Verein muss sich für die nächsten Auftritte vorbereiten.

Geld verdienen die Tänzer übrigens keins, aber darum geht es den Jugendlichen auch gar nicht. „Wir tanzen nicht, weil es nur ein Hobby ist oder weil wir Geld bekommen wollen“, erklärt die 19-Jährige. „Wir tanzen Folklore, weil es eine Verbindung zu unserer Tradition ist.“

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