Katholiken in Andalusien

Die Büßer der Semana Santa

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Zu Ostern ziehen überall in Andalusien Kapuzenmänner in langen Prozessionen durch die Straßen: Sie wollen für ihre Sünden büßen, aus Scham über ihre Taten ihre Identität aufgeben. Die Heilige Woche, Semana Santa, ist ihre Zeit.

Ein sanftes Schaudern überkommt mich jedes Mal, wenn mir die Kapuzenmänner der Semana Santa auf einer der uralten Gassen Andalusiens begegnen. Während der Karwoche trifft man überall in den Dörfern und Städten des spanischen Südens auf sie. Nirgends sonst habe ich je ein derart finsteres und ernsthaftes Ritual des Büßens erlebt. In den Nächten vor Ostern entfaltet der Begriff todernst seine volle Bedeutung.

Hier geht es um ewige Verdammnis. Selbstverschuldete Verdammnis. Und um den verzweifelten Versuch, in einem Ritual das Unabwendbare doch noch zu verhindern. Barfuß und vermummt prozessieren die Bußfertigen durch ihre Ortschaften. ‚Seht her, wir bereuen’, wollen die Nazarenos und Penitentes sagen. Schweigend zum Ausdruck bringen. Ihre Sühne kennt keine Worte. Und keine Lieder. Nur schamvolles Schweigen. Buße tun ist keine heitere Angelegenheit.

Die Prozessionen der Semana Santa sind so effektvoll, weil sie so unheimlich, geheimnisvoll, bedrohlich wirken. Das macht sie so anziehend. Besonders die nächtlichen Umzüge. Das schummrige Licht. Das verwirrende Gassengeflecht der uralten Ansiedelungen. Die Menschenmassen, die den Ritus mit Leben füllen. Und natürlich die Masken. Sich maskieren, das eigene Antlitz verhüllen: Da will jemand unerkannt bleiben. Üblicherweise weil er Böses im Schilde führt. Und dafür nicht belangt werden will. In der Semana Santa geht es aber um das genaue Gegenteil. Darum, aus Scham seine Individualität aufzugeben. Sich einzureihen in die Legion der namenlosen Sünder. Buße tun heißt, sich selbst preis zu geben.

 Ästhetik erinnert an Ku Klux Klan

Natürlich denken die meisten Semana Santa Besucher an den Ku Klux Klan. Der rassistische Geheimbund aus den amerikanischen Südstaaten hatte sich die Spitzhauben-Ästhetik bei den Karfreitags-Büßern abgeguckt. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, denn zum protestantisch geprägten KKK gehört auch ein militanter Anti-Katholizismus. Der Klan wurde Weihnachten 1865 gegründet, gut drei Jahrhunderte nachdem sich die Karwochen-Prozessionen etabliert hatten.

Die blütenweißen Kapuzengewänder symbolisierten den Klansmitgliedern ursprünglich die Geister gefallener Konföderierten-Soldaten. Sehr schnell hatten sie dann verstanden, wie effektvoll sich in den Spitzhauben-Gewändern vor brennenden Kreuzen Angst und Schrecken verbreiten ließ. Um Macht auszuüben. Den spanischen Prozessions-Teilnehmern liegt das fern. Angst und Schrecken verströmt hier allein die Ahnung, welche Konsequenzen das eigene Handeln haben könnte. Buße tun heißt, sich reumütig auf die eigenen Verfehlungen zu konzentrieren.

Die Bruderschaften jedoch, die die Karwochen-Umzüge veranstalten, haben durchaus auch etwas geheimbündlerisches. Eingeweihte können an den Farben und Wappen der Büßergewänder ablesen, welcher Hermandad oder Cofradía sie angehören. Jede Bruderschaft ist einem eigenen Gotteshaus zugehörig, von dem aus sich die jeweilige Prozession in Bewegung setzt.

Geleitschutz für den Paso

Allein in Sevilla gibt es über fünfzig. In den größeren Städten bilden die Vermummten oft nur eine Art Geleitschutz für die eigentliche Preziose ihrer Bruderschaft: Den Paso. Pasos sind gewaltige Tische, auf denen lebensgroß das Personal der Passionsgeschichte auftritt. Vor allem der Gekreuzigte und die in Andalusien besonders verehrte Jungfrau Maria. Aber auch Judas, Maria Magdalena, Johannes der Täufer.

Die lebensechte Figuren sind aus Holz, handgeschnitzt, bemalt und, vor allem bei der Gottesmutter, in prunkvolle Gewänder gehüllt. Etwa mit goldenem Faden bestickte Samtumhänge. Jesu Gewand, um das die römischen Söldner gewürfelt haben sollen, ist natürlich aus echtem Stoff. Das Rot seines Blutes wird zu Saisonbeginn aufgefrischt. Damit die optische Wirkung von Christi Leid nicht verwittert.

Die opulenten Blumengestecke, Explosionen der Farbigkeit auf dem knarzigen alten Holz, hauchen den Episoden aus der Leidensgeschichte zusätzliches Leben ein. Manche der gewaltigen Holztische sind mit Laternen ausgestattet. Viele Prozessionen ziehen sich bis in die Morgenstunden, während der Madrugá, der Nacht vom Gründonnerstag auf den Karfreitag.

Die Mühsal der Costaleros

Das schummrige Licht der Paso-Laternen leuchtet die Szenen aus wie expressionistische Stummfilmklassiker. Ergriffenheit und Berührtheit, mit denen sich die Andalusier jedes Jahr aufs Neue in den Anblick der Pasos vertiefen, sind verblüffend. Und ansteckend: Auch ich kann den Blick kaum abwenden von der lebensechten Darstellung des Passionsgeschehens. Die hölzernen Tableaus zu betrachten, strengt die Augen an. Eine Bildmeditation, bei der sich der Blick irgendwann nach innen richtet. Buße tun heißt, ein Stück weit in die eigene Seele zu blicken.

Doch das ist gar nichts im Vergleich zur Mühsal der Träger. Die Pasos sind ungeheuer schwer. Oft braucht es ein Dutzend Männer oder mehr um sie anzuheben. Und dann durch die Gassen zu tragen. Stundenlang. Es ist eine besondere Ehre, einen Paso tragen zu dürfen. Und eine Mühsal, ein ritueller Akt der Reinigung.

Costaleros heißen die Träger der tonnenschweren Holzgestelle. Nach el Costal. Das ist eine Art Kopftuch. Es lindert die Mühsal, wenn die Costaleros beim Tragen ihre Schultern mit dem Kopf entlaste. Während Nazarenos und Penitentes durch kleine Sehschlitze blicken, laufen die Träger der Pasos blind durch die Gassen. Sie verschwinden hinter einem schweren Vorhang, der rund um den Motivtisch läuft und den Anschein erweckt, der Paso würde schweben.

Auf der Grenze zwischen den Kulturen

Durch Klopfzeichen erfahren die Costaleros, dass sie die Richtung wechseln müssen. Schon den Paso durch schmale Kirchentüren ins Freie zu bugsieren ist ein kompliziertes Manöver. Und zur richtigen Herausforderung wird es, sobald der gewaltige Figurentisch eine steile Treppe hinuntergetragen werden muss. Alle Verantwortung lastet auf den Schultern der Costaleros, denn nichts wird bei den Semana Santa – Prozessionen so ehrfürchtig, ergriffen und aufmerksam betrachtet wie die oft jahrhundertealten Pasos. Buße tun heißt, sich ganz dem hinzugeben, der die Sünden der Welt auf sich nahm.

Vejer der la Frontera gehört zu den sogenannten ‚pueblos blancos’, den weißen Dörfern Andalusiens. Wie eine Trutzburg thront der Ort auf einem Tafelberg. Von Vejer aus kann man über die Meerenge von Gibraltar hinweg nach Afrika schauen.

Viele Orte in Andalusien tragen den Beinahmen ‚de la Frontera’. Sie lagen einst an der Kulturgrenze zwischen muslimischer und christlicher Welt. Vejer stammt aus der Maurenzeit. Und das sieht man. Das wabenartige Stadtgebilde mit den weißgetünchten Wänden könnte auch irgendwo in Nordafrika stehen, in Marokko oder Tunesien. Wenn die Sonne auf Vejer hinunterbrennt, dann muss man die Augen zukneifen: So sehr blendet das Licht, das die Wände des ‚pueblo blanco’ zurückwerfen.

Nur ein Hauch liegt zwischen Verzweiflung und Lebensfreude

Doch seine eigentliche Magie entfaltet Vejer erst bei Nacht. Vor allem wenn sich die Büßerprozessionen im Dickicht der Gassen verlieren. Eng sind die gepflasterten Sträßchen, steinern, baum- und strauchlos. Und sie entziehen sich dem Blick, indem sie immer wieder nach wenigen Metern abknicken, abrupt die Richtung ändern, sich im Gewirr mit immer weiteren Sträßchen und Durchgängen verlieren.

So stelle ich mir die Gassen Jerusalems zu Lebzeiten Jesu vor. Die Wege durch die alten Dörfer und Städte Andalusiens sind atmosphärisch ganz nah dran am Schauplatz der Passionsgeschichte. Sie scheinen alle nach Golgatha zu führen. Schaurig können sie sein, eine seltsame Verzweiflung tief aus dem Inneren des Büßers heraus erwecken. So wie an jenem finsteren Tag, als der Mensch seinen Erlöser ans Kreuz schlug. Buße tun heißt, die Erinnerung daran zu bewahren, wie fern der Mensch seinem Gott sein kann.

Das Semana Santa – Spektakel hat aber auch etwas ganz Diesseitiges, Weltliches. Trauer und Verzweiflung liegen ganz nahe bei Genuss und Lebensfreude. In Sevilla etwa stehen die Menschen gerade noch ergriffen entlang der Prozessionsroute. Um kurz darauf in der nächsten Bodega mit einem Sherry in der Hand über das Spektakel zu fachsimpeln. Die Kinder sind ohnehin bestochen. Wie im Karneval regnet es Naschkram entlang der Prozessionen. „Un Caramelo, un Caramelo“, betteln sie. Und tragen ein kleines Körbchen am Arm. Für ihre Beute. Buße tun heißt durchaus auch, sich die Mühsal zu versüßen.

Sevilla ist die Hauptstadt der Semana Santa

Sevilla ist die Hauptstadt der Semana Santa. Nirgends gibt es mehr Bruderschaften, Prozessionen, Pasos, Besucher und Spektakel. Während der Karwoche herrscht Ausnahmezustand in Sevilla. Es ist Gründonnerstag. Ich bin zeitig in die Stadt gekommen und stehe am Eingang einer der zahllosen Kirchen der Stadt. Allmählich trudeln die Prozessionsteilnehmer der Gemeinde ein. Ihre Zipfelhüte tragen sie noch unterm Arm.

Die Büßerkutte muss noch ein wenig zurechtgezupft werden. Noch tragen die Ankommenden Schuhe. Am Kircheneingang ist eine Art Türsteher postiert. Er gewährt nur denen Zutritt, die dazu gehören. Zuschauer sind nicht erwünscht, wenn letzte Hand am Paso angelegt wird. Bei der Aufstellung.

In Sevilla ist mir ein anderer Aspekt der Karwochenumzüge klargeworden. Der Wettbewerb zwischen den Beteiligten. Jede Kirchengemeinde der Stadt ist dabei. Schickt ihre vermummte Abordnung los auf die Prozessionsroute, die immer die Kathedrale der Stadt zum Ziel hat.

Die Sänger in Schwarz

Wer hat seinen Paso am eindrucksvollsten ausgestattet? Welche Bruderschaft lockt die meisten Sänger auf die Balkone entlang der Umzugsroute? Deren Flamenco-ähnlicher Klagegesang liefert, außer bei den Schweigeprozessionen, den Klangteppich für die Umzüge. Wenn die Balkonsänger ins Freie treten, stehen die Prozessionen still und verstummen ihre Teilnehmer.

Die Sänger tragen Schwarz. Die Sängerinnen zusätzlich einen Schleier. Mit ihrem Klagegesang treten sie in unmittelbaren Kontakt mit dem Personal der Passionsgeschichte. Die tieftraurigen Melodien bilden eine Art Zeitbrücke zurück zum Karfreitagsgeschehen. Für die Dauer der kurzen Gesangseinlagen scheinen die Zuschauer zu entschwinden. Für einen kurzen Moment scheint das Universum nur aus Sänger und Besungenem zu bestehen.

Saetas, zu deutsch ‚Pfeile’, heißen diese gesungenen Stoßgebete. Und wie beim Flamenco durchbrechen die Zuhörer ihr andächtiges Zuhören schon mal durch ein anstachelndes Ay! Wenn der akustische Pfeil von der Sehne ist, kann durchaus noch ein Olé! folgen. Dann zieht die Prozession weiter. Buße tun heißt, die eigene Fehlbarkeit als Teil des unabänderlichen Laufs der Dinge zu akzeptieren.

Im Schulterschluss zu Zwang und Konformität

Was mich dann aber immer wieder aus Melancholie und Versenkung herausholt, sind die vielen neuzeitlichen Uniformen. Und die Nerv tötenden Blaskapellen. Vermutlich soll deren Rumstata-Musik Ermüdende bei Marschierlaune halten. Die Spielmannszüge sehen aus wie Militärkapellen. Die Guardia Civil marschiert mit. An ihren Uniformjacken ist immer noch das Liktorenbündel aufgenäht. Jene Äxte im Rutenbündel, die auf Latein Fasces heißen. Daher der Begriff ‚Faschismus’. Liktorenbündel waren Fetische der Macht.

Mir kommt dann in Erinnerung, dass Spanien ja zu meinen Lebzeiten noch eine faschistische Diktatur war. 1975 starb der Diktator. Sein Regime währte noch zwei Jahre länger. Bis zu den ersten freien Wahlen in Spanien. Zu Zeiten des Franquismus wurde der sogenannte nacional catolicismo, ‚Nationalkatholizismus’, gepflegt. Die Kirche hatte sich trefflich mit der weltlichen Macht arrangiert. Talar und Uniform standen Schulter an Schulter. Die Einen beherrschten und kontrollierten die Menschen im Diesseits. Die Anderen behaupteten die Deutungshoheit für den Weg ins Jenseits.

Im Schulterschluss übten sie den gleichen Zwang zur Konformität aus. Wer hier bequem leben und dort den ewigen Frieden finden wollte, der lehnte sich nicht auf, der passte sich lieber an. Zwischen Uniform hier und Büßergewand dort schwand der Spielraum für Individualität. Während der Semana Santa scheint die Dualität aus weltlicher und geistlicher Macht noch sehr effektvoll am Werk. Buße tun heißt zwar, im Ornament der sündigen Masse aufzugehen. Aber auf Vergebung hoffen darf nur, wer sich zur Eigenverantwortung bekennt.

Solcherlei Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich auf einer namenlosen Gasse in einer andalusischen Kleinstadt stehe. Minutenlang war ich versunken in den Anblick des Gemarterten mit der Dornenkrone, der sein schweres Holzkreuz zur Stätte seines Todes schleppt. Ich frage mich, was es wohl damals mit den Augenzeugen gemacht hat, die ihm am eigentlichen Karfreitag auf der Via Dolorosa begegnet waren.

Ob sie spüren konnten, mit wem sie es da zu tun hatten? Ob sie ahnten, welch kolossale Folgen dieser Opfertod haben würde? Die Obsession des Katholizismus mit der ewigen Schuld, die sich immer nur kurzzeitig und in kleinen Häppchen begleichen lässt, wird nirgends so eindrucksvoll inszeniert, wie während der Semana Santa in Andalusien. Ihre alljährliche Wiederkehr nach immer gleichem Ritual verleiht auch dem, der nicht an Erlösung und Auferstehung glaubt, den Hauch einer Ahnung davon, was Ewigkeit bedeutet.

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