Tough Mudder in Deutschland

Einmal durch den Schlamm, bitte!

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Marathon, Triathlon, Ironman: Es gibt zahlreiche Sportwettkämpfe in denen sich Männer wie Frauen selbst beweisen können wie ausdauernd, schnell und stark sie sind. „Tough Mudder“ will anders sein. Hier geht es nicht um Einzelkämpfer, sondern Teamarbeit.

Stromkabel hängen wie ein Lianendickicht von oben herab. 10.000 Volt sollen durch die hellen Weidezaundrähte fließen. Es ist die letzte Hürde auf einem 18 Kilometer langen Hindernislauf. Nur wenige Meter trennen die Läufer an dieser Stelle noch vom Ziel. Gemeinsam rennen die „Drei Wetter Toughs“ hinein in die sogenannte „Electroshock Therapy“. Zwei schaffen es, einer fällt. Stromschläge knocken den 28-Jährigen für einen kurzen Moment aus und lassen ihn mit dem Gesicht im Schlamm wieder zu sich kommen.

An dieser Stelle gibt es berechtigte Fragen: Wieso machen drei junge Männer so etwas mit? Wieso nehmen sie an einem Rennen teil, bei dem es darum geht, freiwillig durch Schlamm zu kriechen, in Eiswasser zu tauchen und seinen Körper Stromschlägen auszusetzen?

Alles begann zwei Monate zuvor, im August 2014. Im Internet stieß Philipp auf den Hindernislauf. In seinem Freundeskreis sucht er nach Mitstreitern. Nach diversen Absagen und Apellen an seinen geistigen Zustand, findet er zwei, die sich trauen. Daniel und Michael. Gemeinsam melden sie sich als das „Drei Wetter Tough“-Team an. Das Ziel ist bei den dreien das gleiche – den Parcours bewältigen – ins Ziel kommen. Da sie nicht in ein und derselben Stadt wohnen, bleibt ein gemeinsames Training aus.

© Oliver Alegiani
Die Teilnehmer beim Tough Mudder-Lauf in Basthorst, in der Nähe von Hamburg, sprechen vor dem Start den heiligen Schwur - das Tough-Mudder-Ehrenwort. © Oliver Alegiani
Nach dem Schwur gibt es noch einmal eine Umarmung und dann ... © Oliver Alegiani
... geht es auch schon los. 18 Kilometer Laufstrecke und 23 Hindernisse warten auf die Sportler. © Oliver Alegiani
Philipp (r.), Daniel (l.) und Michael durchtauchen das mit Eiswürfeln gefüllte Becken. Die Temperatur liegt bei vier Grad. © Oliver Alegiani
Sichtlich durchgefroren steigen Philipp (v.) und Michael (h.) aus dem Eiswürfelbecken. © Oliver Alegiani
"Double Mud Mile": Philipp versucht geschickt mit Sprüngen, die schlammigen Gräben zu umgehen. © Oliver Alegiani
Es gelingt ihm aber nur zum Teil. Beim letzten Sprung landet er in der Grube und muss sich aus dem Modder rauskämpfen. © Oliver Alegiani
Ohne Hilfe ist es jedoch meistens fast unmöglich, sich allein aus dem Matsch zu befreien. © Oliver Alegiani
"Hangin' Tough": An diesem Hindernis scheitern alle drei. Auch wenn Michael (an dem Ring) es fast geschafft hätte. © Oliver Alegiani
Ein Bad im Wasser unter den Ringen bleibt unausweichlich. © Oliver Alegiani
Nur wenige schaffen dieses Hindernis. Für die meisten Teilnehmer endet der Versuch im Wasser. © Oliver Alegiani
"Electric Eel": Die Drähte sind geladen und verpassen jedem, der sie berührt, einen Schlag. © Oliver Alegiani
Es ist schier unmöglich, ohne einen Stromschlag durch dieses Hindernis zu gelangen. © Oliver Alegiani
Nach dem Eletric Eel liegen noch neun Kilometer und weitere elf Hindernisse vor Philipp (r.), Daniel (l.) und Michael (M.). © Oliver Alegiani
Der "Everest": Nach fast 18 Kilometer laufen und 20 Hindernissen, gelangen die Teilnehmer an eine Quaterpipe. Mit einem kurzen Sprint ... © Oliver Alegiani
... und der Hilfe von anderen "Muddern", ist diese Hürde zu schaffen. © Oliver Alegiani
"Electroshock Therapy" ist das letzte Hindernis bei diesem Tough Mudder-Lauf. © Oliver Alegiani
Bis zu 10.000 Volt sollen durch die Drähte fließen. Ein Stromschlag fühlt sich schlimmer an, als ein Schlag von einem Weidezaun. © Oliver Alegiani
Philipp versucht sich geschickt, durch die Drähte zu schlängeln. Es gelingt ihm nicht ganz. © Oliver Alegiani
Philipp (M.), Daniel (l.) und Michael (r.) haben es geschafft. Direkt nach dem Ziel bekommen sie orange Stirnbänder verliehen. © Oliver Alegiani

Flo, der Einschreier

Zwei Monate später stehen die drei gemeinsam mit etwa Hundert anderen Teilnehmern in Basthorst, in der Nähe von Hamburg, auf einem Feld und lassen sich von Flo, ihrem Einschreier, auf die bevorstehende Strecke einstimmen. Vorfreude, Aufregung und Nervosität machen sich in ihnen breit.

Flo treibt die Meute an, zuerst kommen ein paar Aufwärmübungen: Kniebeugen, Liegestützen und auf der Stelle Laufen. Mit stadiontauglichen Sprechchören wie „when I say Tough, you say Mudder: Tough Mudder!“ heizt der Einschreier die Laune der Teilnehmer weiter an. Und immer wieder bläut Flo der Läufergemeinde ein: Bei Tough Mudder gehe es nicht um den Sieg und die beste Zeit. Das wichtigste sei die Teilnahme im Team und der Spaß.

Nach dieser großen Portion Motivation und Teamgeist muss das erste Hindernis, eine mannshohe Holzwand, überwunden werden – nur so zur Einstimmung und noch vor dem Startschuss.

Tough Mudder als Ersatzreligion

Wer nun erwartet, dass als nächstes der Lauf beginnt, täuscht sich. Flo hüpft in seinem orang-schwarzen Outfit behände auf ein Podest aus Autoreifen und lässt die Teilnehmer im Startbereich niederknien. Die „Drei Wetter Toughs“, ebenfalls auf ihren Knien, sprechen gemeinsam mit dem Rest der Gemeinde den heiligen Schwur der Tough Mudder.

Sie geloben, dass dies kein Rennen sei, sondern eine Herausforderung. Dass Teamgeist und Teamwork Vorrang vor der eigenen Streckenzeit haben. Dass sie nicht jammern werden, denn das sei etwas für Kinder. Zudem versprechen sie, ihren Mudder-Kollegen zu helfen und alle Ängste zu überwinden.

Danach gibt es eine Runde Umarmen in der Gruppe. Die Teilnehmer schauen sich verstohlen um und kichern etwas verlegen. Mancher wischt sich noch die Hände ab, um sie von Schmutz zu säubern. Es scheint ihnen noch nicht so richtig klar zu sein, dass dieser Dreck in den nächsten dreieinhalb Stunden ihre geringste Sorge sein wird.

Der Sprung ins kalte Wasser

Das Wetter meint es gut mit den Läufern. Es ist zwar bewölkt, aber die Temperaturen sind angenehm für Mitte Oktober. Kein Regen und kaum Wind. Und dann kommt der große Moment: 11:20 Uhr – das Startsignal! Eingenebelt in orangen Rauch läuft die so eben eingeschworene Gemeinde los. Leichtfüßig begeben sie sich auf einen Parcours, der jeden Einzelnen an seine Grenzen treiben wird – aber noch haben sie ein Lächeln im Gesicht. So auch Philipp und seine beiden Freunde.

Das erste Hindernis entpuppt sich als einfache Übung. Es geht über ein paar Heuballen hinweg. Doch schnell wird klar woher das Rennen seinen Namen hat: Das zweite Hindernis heißt „Kiss of Mud“. Der Name ist Programm. Die Teilnehmer müssen bäuchlings unter Stacheldraht durch Schlamm hindurch robben. Für die „Drei Wetter Toughs“ ist es eine leichte Übung. Einziger Nachteil: Nun sind sie durchnässt und mit Modder bedeckt. Es warten noch 21 weitere Hindernisse auf sie.

Gemeinsam kommen Philipp, Daniel und Michael beim nächsten Hindernis an. Es ist 11:37 Uhr. Sie wussten, dass es an der dritten Station kalt werden würde. Hieß es doch im Vorfeld, dass im „Artic Enema“ vier Grad kaltes Wasser auf die Teilnehmer warten würde. Aber Philipp hatte seine Bedenken, ob es die Veranstalter wirklich schaffen würden, dass Wasser auf diese Temperatur abzukühlen. Doch sein erster Blick in das Becken lässt ihn erstaunen. Es ist gefüllt mit Eiswürfeln.

Mit den Füssen zuerst steigen die drei in das Becken. Die Kälte zieht sofort in ihre Knochen. Besonders schlimm wird es, als sie mit dem Kopf unter einer Planke durch das eiskalte Wasser tauchen müssen. Michael bekommt das Gefühl sein Gehirn wird schockgefroren und hat nur einen Wunsch: so schnell wie möglich raus aus dem Becken. Mit einem lauten Schrei taucht er auf der anderen Seite der Planke aus den Eiswürfeln wieder auf. Sein Körper fühlt sich taub an. Doch nachdem sie das Eiswasserbecken hinter sich haben, kehrt das Gefühl wie auch das Lächeln langsam wieder zurück und es kann weitergehen.

Wer stecken bleibt, kommt alleine nicht mehr raus

Die Grundidee für Tough Mudder kam dem Briten Will Dean bei einem Marathonlauf. Auf der Strecke versuchte er, seine Jacke zu öffnen. Doch der Reißverschluss klemmte. Als er versuchte, Hilfe von den anderen Teilnehmern zu bekommen, wurde er bitter enttäuscht. Der mangelnde Teamgeist wurmte Dean und er beschloss ein Hindernisrennen zu entwickeln, bei dem es genau darauf ankommt. Gemeinsam mit Guy Livingston gründete er dann Tough Mudder. Die Strecke für den Lauf wurde nach dem Vorbild der Trainingscamps für Elitesoldaten gebaut – kein Wunder, war doch Dean selbst einmal bei den britischen Spezialkräften.

Als die beiden dann ihr Konzept 2009 bei einem Wettbewerb der Harvard Business School vorstellten, war im Halbfinale Schluss. Denn als sie erklärten, dass sie rund 4.000 Teilnehmer für ihre Veranstaltung brauchten, winkte die Jury ab – zu unrealistisch. Sie ließen sich trotzdem nicht von ihrem Plan abbringen und richteten im folgenden Jahr das erste Rennen in den USA aus. Vier Jahre später überzeugt Tough Mudder mit 60 Events in sieben verschiedenen Ländern.

Am heutigen Wochenende laufen etwa 8000 Männer und Frauen verteilt auf diverse Startergruppen beim ersten Tough Mudder-Rennen in Norddeutschland mit. Etwa 75 Prozent der Teilnehmer werden das Ziel erreichen. Am Ende werden viele mit Schrammen, Kratzern und anderen Blessuren aus dem Rennen gehen. Und natürlich mit Schlamm überzogen sein.

Richtig dreckig wird es in der „Double Mud Mile“. Hier müssen die Teilnehmer über rutschige und matschige Hügel und durch tiefe schlammige Gräben kommen. Es gibt niemanden, der aus dieser Nummer sauber rauskommt. Und jeder, der in einem Graben versackt, schafft es nur mit der Hilfe von anderen wieder raus. Philipp, Daniel und Michael hüpfen, krabbeln und ziehen sich gemeinsam durch die Mühle.

Ein bitterer Vorgeschmack aufs Ende

Nach etwa eineinhalb Stunden erreichen die drei das „Electric Eel“. Bisherige Bilanz: Sie mussten sich durch noch mehr Schlamm kämpfen, über eine vier Meter hohe Holzwand klettern, an Ringen über einem Wasserbecken entlang hangeln und durch eine halb mit Wasser gefüllte schmale Röhre kriechen. Die drei sind durchnässt, von oben bis unten mit Modder beschmiert und das Lächeln ist nur noch halb zu sehen. Aber sie haben immerhin schon die Hälfte der Strecke und elf Hindernisse geschafft. Es ist 12:54 Uhr.

Die zwölfte Station hat es aber in sich. Erneut müssen Philipp und seine Freunde auf dem Bauch durch den Schlamm robben. Was für sich genommen, keine Herausforderung mehr für die drei ist – nach allem was sie bisher schon bewältigt haben. Doch dieses Hindernis hat eine besondere Eigenheit. Statt Stacheldraht gibt es dieses Mal Drähte, die von oben herab hängen und bei Berührung Stromschläge austeilen.

Schnell ist den drei Freunden klar: Hier geht es um Schnelligkeit. Sie robben so schnell es geht durch den Schlamm. Jedes Mal wenn einer von ihnen einen Draht berührt, knackt es und ein Stromschlag durchfährt sie. Schmerzverzerrt kommen die jungen Männer auf der anderen Seite wieder zum Stehen.

Von nun an wissen die drei was ihnen am Ende der Strecke blüht. Neun Kilometer Strecke und zehn Hindernisse liegen noch zwischen Philipp, Daniel und Michael und der „Electroshock Therapy“, dem letzten Hindernis des Parcours. Und wie sich die Stromschläge anfühlen, ist ihnen jetzt klar. Es ist viel schlimmer, als an einen Weidezaun zu fassen.

Electroshock Therapy

Um 14:28 Uhr liegt das letzte Hindernis vor ihnen. Bedrohlich hängen die Kabel von oben herab. Philipp, Daniel und Michael stehen nebeneinander. Hinter der „Eletroshock Therapy“ liegt das Ziel. Nur noch dieses eine Hindernis müssen sie bewältigen und dann haben sie es geschafft. Warme Klamotten, Dusche und Bier warten auf sie – auf der anderen Seite des Hindernisses. Gemeinsam laufen sie los. Philipp hält sich links, versucht geschickt ohne Berührung durch die Kabel durchzuschlüpfen. Daniel läuft rechts, mit den Armen vor dem Kopf, gerade durch. Michael versucht sein Glück in der Mitte, ebenfalls mit den Armen vor dem Kopf.

Alle drei Laufen. Philipp schlängelt sich durch, Daniel schafft es mit Schnelligkeit. Doch etwa nach der Hälfte der Strecke erwischt es Michael. Er berührt ein Kabel, ein Stromschlag trifft ihn, er strauchelt und fällt zu Boden. Erst mit der Nase im Schlamm kommt er wieder zu Bewusstsein. Robbt unter den Kabeln aus dem Hindernis raus. Hier helfen ihm Philipp und Daniel auf. Zum Glück ist nichts Schlimmes passiert. Michael fehlen nur ein paar Erinnerungen an den Sturz, sonst nichts. Weiter geht es, das Ziel liegt direkt vor ihnen.

Nach etwas mehr als drei Stunden voller Qual, Kälte, Dreck und Wasser – nach 18 Kilometern Laufstrecke und 23 Hindernissen haben es die „Drei Wetter Thoughs“ gemeinsam geschafft. Zitternd, erschöpft und mit einem breiten Grinsen freuen sie sich über ihre Leistung. Und das ist alles, was für die drei Freunde zählt.

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4

  1. … dann solltest du mal mitlaufen.

  2. Sehr cooler Artikel! Das Rennen war immer schon mein Traum!

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