Flüchtlingsansturm auf serbische Kleinstadt

„Wir haben nichts!“

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Der Ort Preševo in Serbien erlebt derzeit einen Flüchtlingsansturm. Die Menschen weichen hierher aus, weil das EU-Land Bulgarien seine Grenzen dicht macht. Niemand in der Kleinstadt ist darauf vorbereitet. Die humanitären Umstände sind entsprechend verheerend.

Das ist also der Arsch der Welt“, sagt mein guter Freund Daniel und schüttelt ungläubig mit dem Kopf. Wir waren nach Preševo in Südostserbien gekommen, um einen ehemaligen Kommandanten der albanischen Untergrundarmee UÇK zu interviewen. Die Kleinstadt wirkte wie ausgestorben, wie eine verlassene Westernstadt inmitten der ärmsten Region Serbiens. Einer jener Orte, in dem die braunen Ziegelmauern Ohren haben und marodierende Kinderbanden mit großen Augen hinter den Ecken lauern und einen auf Schritt und Tritt beschatten. Ich war froh, als wir den Ort wieder verlassen konnten. Das war vor einigen Wochen.

Nun ist es Anfang Juli und ich schlucke ordentlich als eine serbische Kollegin mir rät: „Fahr nach Preševo. Da ist im Moment die Hölle los.“ Die 35.000-Seelen-Gemeinde solle seit rund zwei Wochen einem Flüchtlingslager gleichen. Immer mehr Menschen wählen die Route über Südserbien, um nach Mitteleuropa zu gelangen. Der Grund: Die Sicherheitsvorkehrungen an der nahegelegenen bulgarischen Grenze werden permanent verschärft. Ein Durchkommen ist dort kaum noch möglich.

Flüchtlings-Kolonnen

Gemeinsam mit Mitarbeitern der serbischen NGO „Centar E8“ will ich die Situation begutachten. Schon auf der Schnellstraße sehen wir die ersten Kolonnen. Große Gruppen marschieren von Preševo aus nach Nordserbien. Sie tragen kaum Gepäck – nur ihre Schlafsäcke am Gürtel. Die Frage nach dem Weg erübrigt sich. Ein junger Mann schwenkt bereits die Handfläche, wie die Kelle eines Verkehrspolizisten, als wir die Scheibe herunterlassen und zeigt unmissverständlich in Richtung Zentrum, in Richtung Polizeistation. Wir parken den Wagen unweit der Moschee. Als wir aussteigen, ruft der Muezzin auffallend leiernd zum Gebet. „Das kommt nur vom Band. Mehr kann man sich hier nicht leisten“, sagt eine meine Begleiterinnen.

In den Straßen rund um die Polizeistation bestätigen sich die Berichte meiner Kollegin. Hunderte Männer, Frauen und Kinder – vorwiegend aus dem Mittleren Osten sowie Nord- und Zentralafrika – hocken auf den Bordsteinen oder direkt auf der Straße und warten auf ihre Dokumente für die Weiterreise in Richtung Ungarn.

Überall liegt Müll. Leere Plastikflaschen und Verpackungen füllen den Straßengraben. Die Massen drängen sich dazwischen unter den Bäumen, um Schutz im Schatten zu finden. Einige hängen mit allen vier Gliedmaßen am Zaun der Polizeistation und versuchen mit der Handvoll Polizisten zu verhandeln, die das Gelände vor der Stürmung sichern. Die Beamten reagieren nicht, sie tragen Mundschutz, wie man ihn aus Krankenhäusern kennt, und Gummihandschuhe.

Die Nerven liegen blank

Wir treten mit halb gehobenen Händen durch das Tor und suchen das Gespräch mit dem ranghöchsten Uniformträger. Der zeigt sofort mit dem Finger entgegen unserer Laufrichtung. Wir diskutieren, fragen nach konkreten Zahlen. „Bis vor ein paar Wochen sind hier 20 bis 30 Personen am Tag aufgetaucht. Heute registrieren wir bis zu 600 Menschen täglich“, nuschelt der Polizist durch seinen Mundschutz und schiebt uns bestimmt Richtung Ausgang. „Wie ist die Situation?“, fragt meine serbische Begleiterin. „Wir sind zu wenige und vollkommen überfordert. Das sehen sie doch!“, antwortet der Beamte denkbar patzig und schließt mit einem lauten Knall hinter uns das Tor. Die Nerven liegen blank.

Wieder auf der Straße wird die Überforderung sichtbar – es geht einfach nichts voran. Lange Schlangen bilden sich vor einem provisorischen Büro gegenüber der Polizeistation. Nummern werden mit schwarzer Tinte auf die Handrücken der Wartenden geschrieben – die Eintrittskarte für den umzäunten Hof der Polizei. Hier gibt es die eigentlichen Dokumente. Teilweise müssen die Flüchtlinge bis zu drei Tage warten bis sie das entsprechende Papier in der Hand halten.

Währenddessen brennt die heiße Balkansonne und die zwei einzigen großen blauen Wasserkanister sind leer. Einmal am Tag kommen die Helfer des Serbischen Roten Kreuzes und verteilen Lebensmittel. Nur ungefähr ein Drittel der Menschen erhält eine Ration. Der Rest wird auf den Folgetag vertröstet. „Wir haben nichts! Unser Essen geben wir den Kindern und den Alten“, sagt Muhammed aus Damaskus, der mit seiner siebenköpfigen Familie auf dem Weg nach Deutschland ist, um dem syrischen Bürgerkrieg zu entkommen.

Berichte von Misshandlung durch mazedonische Polizei

Gemeinsam mit seinem Vater und der kleinen Schwester steht Muhammed am einzigen Wasserhahn, den die Bevölkerung den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt hat und füllt Plastikflaschen auf. In Mazedonien sei es ihm noch schlimmer ergangen, berichtet er. „Die Polizei in Mazedonien hat uns einfach angehalten, mit Knüppeln geschlagen und Geld gefordert, damit sie wieder verschwinden“.

Insgesamt 500 Euro habe Muhammeds rund 20-köpfige Reisegruppe herausrücken müssen, um die Polizisten zu befrieden. Es ist eine unter vielen vergleichbaren Erfahrungen, von denen die Flüchtlinge aus dem Nachbarland berichten. Seit Monaten leidet Mazedonien unter innenpolitischen Konflikten und gewalttätigen Ausschreitungen. Im serbischen Preševo fühlt sich der ehemalige Architekturstudent deshalb relativ sicher.

Zudem ist die albanische Bevölkerung hier überwiegend muslimisch und auch die Flüchtlinge kommen meist aus muslimischen Ländern. Sie hoffen in Preševo daher auf mehr Solidarität als in den christlichen Nachbarregionen. Der albanische Serbe Agon Ajeti möchte diese Hoffnung nicht enttäuschen. „Als immer mehr Menschen in unseren Ort kamen, haben wir leerstehende Gebäude zumindest für die Familien zur Verfügung gestellt und versucht, soviel Trinkwasser und Nahrungsmittel aufzutreiben, wie wir konnten“, sagt er.

Ajeti führt uns durch die notdürftig mit Decken ausgelegten Abrisshäuser, die in seinem Besitz sind. Auf den nackten Betonböden liegen ein paar Decken. Nur wenn es regnet, dürfen Hunderte der Fremden in die nahegelegene Gaststätte von Fazlin Besnir, in der sonst Hochzeiten gefeiert werden.

Von serbischer Regierung allein gelassen

Gemeinsam mit mehreren Männern aus Preševo sitzen wir im Saal der Gaststätte und lauschen. Sie alle sind empört, mit der Lage in ihrem Ort überfordert und fühlen sich von der serbischen Regierung, die die albanischen Gebiete traditionell links liegen lässt, allein gelassen.

Ajeti, ein großgewachsener junger Mann in den Dreißigern, ergreift das Wort: „Wir rufen die Europäische Union und NGOs auf, uns zu helfen. Wir brauchen einfach alles“, sagt er mit ernster Miene. Seine Mitstreiter nicken bestimmt. „Die Flüchtlinge sind unsere Brüder. Sie kommen zu uns, weil sie die Moschee sehen und wissen, dass ihnen hier geholfen wird. Und natürlich helfen wir, denn wir Albaner wissen, wie es ist, auf der Flucht zu sein“, sagt ein junger Mann und fügt kopfschüttelnd hinzu, „alles organisieren wir selber: Unterkünfte, Essen, Wasser, Windeln und Ärzte, aber unsere Kapazitäten sind überschritten. Diese Stadt ist sehr arm. Mit dieser Entwicklung hat niemand gerechnet“.

Wir gehen zurück zu den Flüchtlingen und suchen das Gespräch. Die Stimmung ist gespannt. Schnell sind wir von mehreren Dutzend Menschen umringt, die sich gegenseitig schubsen, wild durcheinander reden und hoffen, von uns Informationen zu erhalten, die ihre Weiterreise beschleunigen. Sie greifen nach jedem Strohhalm. Den meisten Männern sieht man die Strapazen ihrer Reise an. Sie wirken müde, ausgemergelt und rastlos.

„Unser Haus ist zerbombt“

Der Palästinenser Rodi spricht am besten Englisch. Sein Dorf nahe Damaskus sei von der Terrormiliz Islamischer Staat angegriffen worden. „Unser Haus ist zerbombt“, sagt er. Nun sucht er Zuflucht und ein besseres Leben in Europa. „Wir reisen in Gruppen. Nur so sind wir geschützt. Dafür dauert es Tage bis alle ihre Dokumente haben“, erklärt Rodi. Es sei nicht gut, einfach nur auf der Stelle zu sitzen und zugrunde zugehen. Er wolle einfach nur noch weiter. Nach Ungarn und von dort aus nach Deutschland. „Ich will möglichst schnell die Sprache lernen und studieren. Damit meine Familie stolz auf mich sein kann. Zurück kann ich nicht“, sagt der 26-Jährige und lüftet sein Basecap.

Weil ich weiß, wie man in Europa und Deutschland mit Flüchtlingen umgeht, versuche ich Rodi zu erklären, dass das nicht so leicht sein wird. Dass es wahrscheinlich schwer sein wird, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Ich ernte reihum enttäuschte Blicke. Gefolgt von Widerworten.

Viele der Flüchtlinge hier wurden in Griechenland registriert. Die Polizei greift die Menschen auf, meist nachdem sie die Ägäis mit einem Boot überquert haben, und nimmt Fingerabdrücke. Einen Antrag auf Asyl stellen die Flüchtlinge in Griechenland meist nicht, denn sie wollen nach Mitteleuropa. Und die Griechen lassen sie ziehen. Dass die Flüchtlinge in den mitteleuropäischen EU-Staaten aber Gefahr laufen, wieder zu den krisengeplagten Hellenen abgeschoben zu werden, ist ihnen nicht bekannt.

Immer mehr Menschen scharen sich um uns, während wir die europäische Flüchtlingspolitik erklären. Mehrere Männer übersetzen simultan aus dem Englischen. Doch die Flüchtlinge schütteln ungläubig mit dem Kopf. Zu groß ist ihre Hoffnung. Zu nah ist das Ziel Mitteleuropa. Sie klammern sich an ihren Optimismus.

Rote Kreuz scheint überfordert

Kurz vor unserem Aufbruch bahnen sich zwei Wagen des Serbischen Roten Kreuzes ihren Weg durch die wartende Menschenmasse. Es werden Nahrungsmittel verteilt – wieder einmal zu wenig. Wir sprechen einen Helfer auf die fehlenden Zelte an – es wurden bisher nur zwei aufgestellt – und fragen nach dem Grund für die unzureichende Wasserversorgung.

Erst will der Helfer nicht mit uns reden und schaut weg. Wir fragen noch einmal nach. „Das wird sich morgen alles ändern. Wir tun, was wir können. Hier gibt es kein Problem“, blafft der Mann entnervt zurück – auch das Rote Kreuz scheint überfordert. Nur eines ist sicher: Die Abriegelung der EU-Grenze in Bulgarien hält die Flüchtlinge nicht auf. Sie treibt die Menschen durch eine der derzeit ärmsten und politisch instabilsten Regionen Europas. Das Elend ist vorprogrammiert.

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