Gott liebt die Alten

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Während die Industrieländer noch über das bedingungslose Grundeinkommen diskutieren, ist es in Uganda bereits Realität – zumindest bei den ärmsten Senioren. Unser Autor war bei der Auszahlung in einem kleinen Dorf dabei.

Gemächlich bewegen sich die letzten Nachzügler auf ihre Krücken gestützt zum haushohen Fikus-Baum vor den Gemeinderäumen von Otkwac. Im Schatten haben sich bereits die älteren Jahrgänge mehrerer Dörfer versammelt. Insgesamt etwa 400 Frauen und Männer lauschen dort so gut wie es noch geht dem Bezirksvorsteher. Es ist ein besonderer Tag im Distrik Kole im Norden Ugandas, es ist Zahltag. Alle Bewohner über 65 erhalten jeden zweiten Monat 50.000 Schilling, was etwa 15 Euro entspricht, und können damit machen was sie wollen. Eine Rente, ohne dass sie je etwas in ein Rentensystem eingezahlt haben.

Der Betrag erscheint bedeutungslos, aber für viele ist es eine wichtige Unterstützung um zumindest den Grundbedarf des Lebens zu decken. Jeder Dritte Bewohner lebt von weniger als einem Dollar am Tag und die Zahlung deckt im Durchschnitt zwei Drittel der monatlichen Ausgaben eines ganzen Haushalts in der Region. Um nach Kole zu kommen, fährt man von der Hauptstadt Kampala Richtung Norden, überquert den Nil kurz nach dem Ursprung im Viktoriasee und landet nach insgesamt etwa 250 Kilometern in einem ländlichen Gebiet voller Menschen, aber ohne Stadt.

Das Armenhaus Ugandas

Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Südsudan, im Westen liegt der Kongo, im Osten Kenia. Der Norden ist das Armenhaus Ugandas. Bis vor einigen Jahren war er Schauplatz des Bürgerkriegs mit der Lord’s Resistance Army, dessen Anführer Joseph Kony wegen seiner Kinderarmee und schlimmer Menschenrechtsverletzungen berüchtigt ist. Der Konflikt hat sich in den Kongo verlagert, viele Probleme sind geblieben.

Aber Uganda ist mehr als das Trübsal, dass die internationalen Schlagzeilen über den Bürgerkrieg, den ewig herrschenden Präsidenten Museveni oder die Kriminalisierung von Homosexualität vermuten lassen. Uganda ist ein aufstrebendes Land mit starkem Wirtschaftswachstum und sinkenden Armutsraten.

Vor fünf Jahren hat die Regierung das „Social Assistance Grants for Empowerment Programm“ mit Hilfe von internationalen Partnern ins Leben gerufen. Eine Art bedingungsloses Grundeinkommen, dass armutsbedrohten Menschen helfen soll, ihren Lebensstandard zu verbessern. Die Idee dahinter ist einfach: Die meisten Menschen wissen selber am besten, was ihnen fehlt. Statt viel Geld in die Überwachung und Umsetzung spezifischer Programme zu investieren, bleibt es hier jedem selber überlassen, was er mit dem Geld anfängt.

Die Alten haben es besonders schwer

Andrew Newton Ogei ist der technische Direktor im Kole Distrikt. Mit seinen 35 Jahren wirkt er jugendhaft zwischen den Senioren. Er erklärt, dass es besonders die Alten schwer haben in einer Region, in der der Staat nur am Rande vorkommt. Sozialabgaben oder direkte Steuern gibt es nicht. Im Alter sind daher viele auf ihre Familie und die Hilfe ihrer Kinder angewiesen. Wie dieses Gerüst in sich zusammenfällt, wenn eine Generation wegbricht, hat die Aids-Epidemie vieler Orts auf tragische Weise deutlich gemacht.

Wie zum Beispiel bei Rose, 74. Die Witwe lebt mit ihren drei Enkelkindern auf einem Hof aus drei kleinen Lehmhütten. Ihr Mann ist letztes Jahr von einem Auto tödlich angefahren worden. Ihre Tochter war mit einem Polizisten verheiratetet. Der Mann und seine zwei Ehefrauen – Polygamie wird in Uganda praktiziert – sind an Aids gestorben. Nun kümmert sich Rose alleine um ihre Enkelkinder, auch wenn man ihr die Jahrzehnte harter Arbeit in der Landwirtschaft anmerkt.

Von dem Geld des Programms kann sie Essen besorgen, schickt die Kinder in die Schule und investiert in den Hof. Sie zeigt auf mehrere Hühner, die zwischen den Hütten umherlaufen sowie eine Ziege, die im Hintergrund weidet. Die Auszahlungen in Otkwac sind nach draußen verlegt worden, weil es in den kleinen Verwaltungsräumen der Gemeinde bei weitem nicht genug Platz für die Menschenmenge gibt. Es ist wie ein kleines Ehemaligentreffen der Jahrgänge 1950 und älter. Zu diesem Anlass wird Festtagskleidung getragen. Bunte Röcke, Schlips und ein paar ziemlich große Sonnenbrillen vermischen sich zu einer farbenfrohen Menschenmenge.

Auszahlung bei tropischen Temperaturen

Der Bezirksvorsteher ruft den Wartenden zu, dass sie ihre Simkarten bereit halten müssen. Danach wird ein Ort aus dem Distrikt nach dem anderen abgearbeitet. Simkarte, Fingerabdruck und die Geldscheine wechseln über einen wackligen Holztisch die Seiten. Der Rest bleibt unbeeindruckt von den tropischen Temperaturen auf dem Rasen sitzen. Im Laufe des Vormittags ziehen tief dunkle Wolken am Horizont auf, aber mit Hektik ist nicht zu rechnen.

Milton, 71, lebt wie fast alle von Subsitenzlandwirtschaft. Ein kurzer Blick in den Himmel reicht ihm, um zu sagen, dass es erst am Abend regnen wird. Sein Dorf Ocor liegt etwa zehn Kilometer die lehmig rote Straße hinunter. Er hat sich im Morgengrauen in die unendliche Ameisenstraße eingereiht, die sich von Sonnenauf- bis Untergang an den bunten Feldern und dem satten Grün des Moors entlangschlängelt. Die meisten gehen zu Fuß, in Gruppen, in einem Tempo, das nicht zu unterbieten ist. Dazu kommen die Boda-boda Fahrräder mit ausgebauten Gepäckträgern, auf denen unvorstellbare Mengen an Kisten, lebenden Tieren und Beifahren aufgeladen werden. Immer wieder reißen Motorräder Furchen in den Menschenstrom. Sobald Milton sein Geld erhalten hat, wird er sich wieder in den Strom einreihen. Ein guter Tag, sagt Milton.

Neu ist die Idee des Grundeinkommens zur Armutsbekämpfung nicht. Anfang des Jahrtausends wurden so genannte „Conditional Cash Transfer“ Programme in Lateinamerika getestet. Dabei wurden die Zahlungen an Bedingungen wie etwa den Schulbesuch der Kinder geknüpft. Die Ergebnisse waren vielversprechend und daraufhin wurden weltweit ähnliche Programme umgesetzt. Es zeigte sich aber, dass es sich meist nicht lohnt Bedingungen einzuführen, weil es nicht am Willen der Eltern fehlt, ihre Kinder in die Schule zu schicken, sondern an den finanziellen Mitteln dafür.

Grundeinkommen breitet sich unter den Armen aus

Auch ohne die Konditionierung haben die Programme ähnliche Auswirkungen, aber zu geringeren Kosten. Die Ausbreitung von „Cash Transfer“ Programmen in Afrika ist beeindruckend. Allein bis zum Jahr 2009 zählte eine Weltbankstudie 120 ähnliche Interventionen. Das Programm in Uganda läuft bisher in 15 besonders armen Distrikten mit ungefähr 120.000 Empfängern. Es wurden zwei verschiedene Varianten des Programms getestet. Einmal für alle über 65 und die andere Variante für besonders armutsgefährdete Haushalte gemäß eines Index aus Anzahl an Waisenkindern und arbeitsunfähigen Personen im Haushalt.

Um die Auswirkungen des Programms zu überprüfen, hat eine englische Beraterfirma eine sie untersucht. In der Studie sollten Programmempfänger mit ähnlichen Haushalten, die keine Zahlungen erhielten, verglichen werden. Der Nachweis positiver Effekte sollte auch helfen, das Programm vor politischen Konjunkturen zu schützen, da ein nachweisbar erfolgreiches Programm sich nur schwer zurücknehmen lässt. Allerdings gab es Probleme mit der Vergleichbarkeit der Kontroll- und Vergleichsgruppe, weshalb die Ergebnisse nicht so schlüssig sind, wie man das gerne hätte.

Klar scheint aber, dass sich nur das Programm für die Senioren bewährt. Zu unverständlich waren die Kriterien für die Vergabe der Zahlungen an die besonders armutsbedrohten Familien. In der Evaluierung gaben einige Empfänger an, dass Gott entscheidet, wer das Geld bekommt. Ganz so ist es nicht, aber gerade in Gegenden mit hoher Armut, kann die Verteilung auch zu sozialen Spannungen führen. Wenn alle arm sind, wieso erhalten einige das Geld und andere nicht? Das Alter zu nehmen ist dagegen einfach zu verstehen und als legitimes Kriterium akzeptiert.

Kein Grundeinkommen für alle

Eine politische Dimension ist aber bei der Entscheidung nicht ausgeschlossen. Im Gegensatz zu den Kindern gehen gerade die Älteren treu zum Wählen. So wurde im Lauf des Wahlkampfs Anfang des Jahres verkündet, dass das Program in den nächsten fünf Jahren in 40 weiteren Distrikten eingeführt werden soll. Komplett bedingungslos sind die Zahlungen allerdings nicht. Der Sozialwissenschaftler Firminus Mugumya von der Makerere Universität in Kampala weist darauf hin, dass das Programm schnell eingestellt werden würde, wenn es nicht effektiv wäre. Wenn die Menschen anfangen würden das Geld in den Viktoriasee zu werfen, würden die Zahlungen sofort gestoppt werden, schiebt er hinterher, um seinen Punkt zu verdeutlichen.

Mit dem Program soll die Armut reduziert werden, nur der Weg dorthin bleibt jedem selber überlassen. Auch wenn Firminus Mugumya das Programm als Erfolgsgeschichte bezeichnet, glaubt er nicht, dass es in Zukunft in ganz Uganda umgesetzt wird. Die finanziellen Möglichkeiten sind zu begrenzt und sollen erstmal dafür verwendet werden, den ärmsten Regionen zu helfen. Zu einem Grundeinkommen für alle wird es so schnell nicht kommen.

Bevor das Geld ausgezahlt wird, überweisen Mitarbeiter eines Telefonanbieters vor Ort mobiles Handygeld auf die Simkarten der Empfänger. Wer die Auszahlung verpasst, hat das Geld auf seiner Simkarte gespeichert und kann es sich beim nächsten Mal auszahlen lassen. Handygeld hat sich in Uganda etabliert. In jeden noch so kleinen Dorf gibt es Wechselstuben der Mobilfunkanbieter, in denen man die elektronische Währung in Bargeld tauschen kann. Aber häufig ist das gar nicht nötig. Man kann das Geld verschicken, damit bezahlen und es parallel zum Bargeld verwenden. Selbst ohne Handy kann die Simkarte als Sparkonto verwendet werden. Dazu kommt es aber eher selten, denn der Großteil wird gleich wieder investiert.

Gott liebt die Alten

Einige der Alten haben sich zu einem Netzwerk zusammengetan. Sie nennen sich „God loves the Elderly“. Gemeinsam bauen sie Zwiebeln an und in Notsituationen legen sie Geld zusammen, um einzelnen Mitgliedern zu helfen. Durch das Programm werden sie selbstständiger, können den Haushalt unterstützen und die Felder von jüngeren Hilfsarbeitern bestellen lassen. Aber nicht nur die Alten haben etwas von dem Programm. Mit dem Geld werden auch Schulkosten für Kinder beglichen und es fließt auch in die lokale Wirtschaft, wovon alle profitieren.

Allerdings gibt es auch Probleme. Die Mittel für das Programms sind so knapp, dass in Zukunft nur die 50 Ältesten Bewohner eines Distrikts das Grundeinkommen erhalten können. Dabei lässt sich oft nicht feststellen, wer wie alt ist, weil gerade die Älteren nicht über Geburtsnachweis oder andere offizielle Dokumente verfügen. In solchen Fällen schätzen Beamte der Regionalverwaltung das Alter. Das mag funktionieren, wenn alle über 65 die Zahlungen bekommen, aber im Zweifel das genaue Geburtsjahr festzustellen, scheint sehr schwierig und viel Raum für Willkür zu bieten. Erst die nächsten Jahre werden zeigen, wie sich diese Probleme in der Praxis lösen lassen.

Am frühen Nachmittag ist auch das letzte Dorf ausgezahlt. Zum Abschluss hievt der Bezirksvorsteher die letzten Empfänger auf ein Motorradtaxi. In zwei Monaten werden sie wiederkommen, wenn die nächste Auszahlung die Alten hier versammeln wird.

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