Rumänien

Goldrausch in den Karpaten

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In den rumänischen Bergen schickt ein kanadischer Investor sich an, Edelmetalle mit Zyanid abzubauen. Obwohl noch Lizenzen für den Abbau fehlen, hat die Abwanderung aus dem Städtchen Rosia Montana längst begonnen. Sogar die Toten weichen dem Golddurst. Und das alles für ein Projekt, welches vielleicht nie zustande kommen wird.

Dass der ganze Spuk vorbei sein könnte, weiß Sorin Jurca, als die Nachbarin sein Geschäft betritt. Älter sieht sie aus, gedrückter mit dem Mantel, der ihr irgendwie an den Schultern hängt, wie das Kleidungsstück eines älteren Geschwisters, in das das jüngere noch nicht hineingewachsen ist. „Ich möchte bitte Milch und Zucker“, sind die ersten Worte, die Sorin Jurca von seiner Nachbarin hört, nach etlichen Jahren, in denen sie ihn ignorierte. Bei zufälligen Begegnungen im Dorf hat sie ihn nicht einmal mehr gegrüßt.

Als Kinder haben sie  in derselben Straße gespielt. Es war keine persönliche Fehde, die die beiden getrennt hat. Auch keine längst vergangene Liebschaft hat sie auseinander gebracht, in der die Enttäuschung des einen noch nachwirkt. Die Teilung der beiden Nachbarn, die nicht nur die beiden betrifft, sondern auch das ganze Dorf entzweit hat, bringt ein Außenstehender. Das kanadische Bergbau-Unternehmen Gabriel Resources ist in den 1990er Jahren ins siebenbürgische Dorf Roṣia Montana im Apuseni-Gebirge, einen Ausläufer der Karpaten, gekommen. Hier, 430 Kilometer von der rumänischen Hauptstadt Bukarest entfernt, verspricht der Investor der verarmten Gemeinde seitdem eine goldene Zukunft. Wenn sie nur ihre Berge für eine Mine opfern. 

Für die einen kommen die Kanadier als letzte Rettung, die anderen glauben den salbungsvollen Worten nicht. Sorin Jurca gehört zu der zweiten Gruppe. Die Nachbarin nicht. In Roṣia Montana bedeutet dies über Jahre den Bann von Freundschaften. Den Verlust von Kollegen und Stille in den Familien.

In dem Gestein rund um Roṣia Montana lagern heute noch die größten Gold- und Silbervorkommen Europas. Bereits in der Antike haben die Menschen hier Stollen in den Berg getrieben. Im Mittelalter kennt halb Europa das Gold aus dem Osten. Jahrhunderte später mühen sich die Minenarbeiter in Roṣia Montana für den Ruhm der Habsburger ab. Erst in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen schuften die Menschen in Rosia Montana in den eigenen Säckel, bevor die Minen unter dem kommunistischen Regime verstaatlicht werden.

An einem See liegt dieses alte Holzhaus oberhalb von Rosia Montana. Die Ortschaft ist eine der ältesten in Rumänien.
Ein Mitarbeiter der Rosia Montana Gold Corp. (RMGC) unternimmt einen Morgenspaziergang. Die meisten Mitarbeiter des Unternehmens sind nur befristet eingestellt.
Mitten in Rosia Montana - ein RMGC Mitarbeiter auf dem Weg zur Arbeit. Viele Menschen haben die Stadt bereits verlassen.
Diese beiden Menschen in Rosia Montana wehren sich seit vielen Jahren gegen das Bergbau-Projekt.
Die rote Farbe des Baches kommt durch einen hohen Gehalt an Eisen und anderen Mineralien. Diesem Wasserlauf verdankt die Ortschaft ihren Namen. Rosia ist eine Ableitung von "roşu", was im rumänischen "rot" bedeutet.
Blick auf eine der ehemaligen Goldabbaustellen über der Stadt Rosia Montana.
In Corna, einem Dorf in der Nähe von Rosia Montana, sollen Auffangbecken für das Bergbau-Projekt gebaut werden. Adriana Cioara und ihre Familie weigern sich, ihr Haus dafür zu verkaufen.
Loredan Cioara fühlt sich von dem Bergbauunternehmen unter Druck gesetzt, weil er sich mit seiner Frau weigert, sein Haus zu verkaufen.
Arpad Palfi, der Priester der unitarischen Kirche in Rosia Montana, hat während der Exhumierung des ersten Grabes aus der BIbel gelesen.
Später haben Arpad und Dorel, der Totengräber, versucht, sich gegen die Verlegung der Toten zu wehren.
Ein bereits leer geräumtes Grab in Rosia Montana. Die Gebeine wurden nach Abrud gebracht.
In Abrud, eine Stadt in der Nähe von Rosia Montana, werden die Toten wieder zur Ruhe gebettet - in neuen Gräbern. Viele der neuen Gräber sind aber noch leer. Es sind die Ruhestätten für die noch lebenden - bezahlt von RMGC.
Cătălin Hosu, ein Sprecher von RMGC, erklärt, dass die Ausbeutung des verbliebenen Goldes bei Rosia Montana mit Zyanid zu 100% nachhaltig ist und die Umwelt nicht schädigen würde.
Der Eingang zum Bergbaumuseum des staatlichen Bergwerks: In Rosia Montana wurde über viele Jahrhunderte hinweg Gold abgebaut.
An den Wänden hängen Poster aus vergangenen Zeiten. Rosia Montana hat eine über zwei Jahrtausende alte Goldbergbaugeschichte.

Doch auch der Kommunismus ringt dem Berg nicht alle seine Schätze ab. Geschätzte 3000 Tonnen Gold und 1600 Tonnen Silber schlummern noch immer in der Region. Auf sie hat es Gabriel Resources abgesehen. In einem Joint-Venture mit dem Staat, der Roṣia Montana Gold Corporation (RMGC), wollen die Kanadier den Berg mit Zyanid anbohren. Die Edelmetalle haben verschiedenen Schätzungen und je nach Goldpreis einen Wert von sieben bis 30 Milliarden Dollar. Ende der 1990er Jahre erhält das Joint-Venture eine erste Tagebaulizenz. 2002 wird der erste Bebauungsplan vorgestellt. 

Angst vor dem giftigen Zyanid

Doch die Dorfbewohner fürchten das Zyanid, welches das Gold aus dem Stein waschen soll. Sie glauben den Versprechungen von RMGC nicht vorbehaltlos, die in ihren Hochglanzprospekten von Umweltstandards sprechen. Sie wissen um die tödliche Kraft des Zyanids.

Mehr als hundert Meter hoch soll die Staumauer des Abklärungsbecken werden, in dem sich der zyanidhaltige Schlamm sammelt. Ein ähnliches Becken ist 2000 im 200 Kilometer entfernten Baia Mare gebrochen. Zyanid, wenn auch in höherer Konzentration als in Roşia Montana vorgesehen, vergiftete die Böden und das Grundwasser. Es war eine der größten Naturkatastrophen Südosteuropas. 

Die Menschen haben Baia Mare nicht vergessen. In einem Land wie Rumänien, das Umweltverordnungen immer noch als Prügel aus Brüssel versteht, stützen sie sich eher auf die eigene Erfahrung denn auf das Vertrauen in die Politiker in der Hauptstadt. Zahlreiche Dorfbewohner haben Angst, auf einem Giftberg sitzen zu bleiben, wenn die Investoren längst wieder verschwunden sind. „Wäre es nicht besser die antiken Stollen nicht zu fluten, und dieses Erbe dafür touristisch zu nutzen?“ fragt Sorin Jurca laut. Die eigene Identität als Bergbaudorf auszustellen, anstatt dem Berg  noch einmal und nur für wenige Jahre zu Leibe zu rücken?

Auch die Toten verlassen den Ort

Sorin Jurca ist eine Seele von einem Mann. Großgewachsen mit einem kleinen Bauch, der das T-Shirt, nach außen wölbt, serviert er den Gästen in seinem kleinen Laden Kaffee. Bis zur Decke stapelt sich auf wenigen Quadratmetern hier alles, was die Dorfbewohner zum Leben brauchen. Seifen, Servietten und sogar Südfrüchte hat der Mitt-40-er mit raspelkurzen Haaren im Angebot. Hinter dem Tresen frieren zwei Wellensittiche im Käfig.

Sorin Jurca hat sich seit Anbeginn gegen das Goldminenprojekt gestellt. „Ich habe mich nicht blenden lassen“, sagt er und bietet Kekse an. Als in den 1990er Jahren die ersten Gäste aus Westeuropa gekommen sind, habe er verstanden, wie gut sich die historische Bergarbeiterkultur inmitten idyllischer Landschaft touristisch verkaufen lasse. „Außerdem liegt mir etwas an diesem Flecken hier“, sagt er. Seine Vorfahren haben schon in Roṣia Montana gelebt und geschuftet, manchmal mehr und manchmal weniger erfolgreich. Hier liegen seine Wurzeln begraben. 

Nur die Großeltern sind fortgegangen – allerdings erst nach ihrem Tod. „Meine Tante hat mir die Großeltern gestohlen“, erzählt Sorin Jurca. Vor drei Jahren will er Blumen an ihr Grab legen, doch Großvater und Großmutter sind nicht mehr da. Die Tante hat in Roşia Montana alles verkauft und ist in die Kreisstadt Alba Iulia umgezogen. Ihre verstorbenen Eltern hat sie mitgenommen. Sorin Jurca erzählt eine Geschichte, die im Werbeprospekt von RMCG nicht vorkommt. Es ist die Geschichte der Toten in Roşia Montana. Und wie sie gegangen sind. Hunderte müssen es sein. 

Der Tod ist die letzte große Investition

Die Toten sind den Bohrungen des Bergbaukonzerns im Weg. Ebenso hunderte Häuser rund um den Dorfkern herum. Für beide hat das Unternehmen eine Lösung gefunden: Wer seine Liegenschaft verkauft, darf seine Verstorbenen mitnehmen, so der Handel, mit dem RMGC in Roṣia Montana von Häuschen zu Häuschen geht. Die Firma zahlt die Exhumierung der Verstorbenen und ein neues Grab im Tal. Eine letzte Ruhestätte für die Lebenden zahlt das Unternehmen gleich mit. Umgerechnet 3000 Euro kostet hier ein Grab. Für die Menschen in der Region ist das mehr als ein halber Jahreslohn. Der eigene Tod ist für viele Rumänen die letzte große Investition. 

Arpad Palfi ist einer der Pfarrer, die sich um das Seelenwohl der Menschen in Roşia Montana kümmert. Mit einem großen Eisenschlüssel öffnet er das Nebentor der Kirche, der unitarischen Gemeinde, eine protestantische Kirche der ungarischen Minderheit. Seit den 1970er Jahren steht der kleine Mann mit dem Spitzbart der unitarischen Gemeinde in Roşia Montana vor.

Er hat seine Gemeinde durch die Jahre des Kommunismus geführt, als die eigene Meinung wenig zählt, das Prestige der Bergarbeiter dafür umso mehr. Und durch die Jahre danach, die für viele Bewohner schlimmer sind. Als die Arbeitslosigkeit um sich greift, weil die staatlich gestützten Minen nicht wirtschaftlich arbeiten. Als mit dem Ende des Bergbaus auch das Selbstbewusstsein der Bergkumpel schwindet und nur noch trotziger Stolz übrig bleibt.

Trotz fehlender Lizenzen sind Hunderte schon umgezogen

Palfi war es auch, der die erste Exhumierung begleitete. Der Bischof hatte ihn darum gebeten. Und so steigt der Pfarrer im Sommer 2004 auf die Kanzel, die Bibel in der Hand. Er schlägt das Buch Ezechiel auf: „Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zurück in das Land Israel“, beginnt Palfi zu lesen. Die Stelle hat er selbst ausgesucht. Für die Exhumierung eines Gläubigen gibt es keine Liturgie.

Es werden nicht zum ersten Mal Tote umgebettet. Auch in Rumänien nicht. Doch in Roṣia Montana werden die Friedhöfe zu einem Zeitpunkt umgegraben, als noch niemand sagen kann, ob das Projekt überhaupt umgesetzt wird. Schließlich fehlen noch wesentliche Lizenzen, etwa die Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Behörden in Bukarest halten den Entscheid zurück. 

Hunderte Familien sind aber schon in die eigens gebauten Siedlungen am Bergrand umgezogen – nicht immer ganz freiwillig, sagen sie im Dorf. Die Schornsteine ihrer bunten Häuser, die sich an den engen Gassen entlang des Hanges schmiegen, sind den Winter über kalt geblieben. Auf den Wäschespinnen in den kleinen Gärten, neben dem Gemüsebeet, hängen keine Tücher. Auf der ungepflasterten Straße gehen nur noch wenige zu den letzten Ausläufern des Dorfes, oben am Waldrand hoch. 

30 Familien blockieren das Bergbauprojekt

2013 sind es noch rund 30 Familien, die sich dagegen sperren, ihre Häuser zu verkaufen. Doch 30 Familien reichen aus, um den Projektablauf hinauszuzögern. Denn nach bestehendem rumänischem Recht können sie nicht von einem privaten Unternehmen enteignet werden. Eine Hürde, die die sozialdemokratisch geführte Regierung trotz Eigeneinsatz nicht schleifen kann. Mehrfach greift sie in diesem Jahr mit ihren projektfreundlichen Gesetzesentwürfen in die parlamentarische Leere, weil einige sich nicht an den Fraktionszwang halten, als draußen Tausende Rumänen auf die Straße gehen.

Die Menschen demonstrieren für den Umweltschutz und gegen das Projekt und die Machenschaften, die sie dahinter vermuteten. Millionen Euro, die RMGC in landesweite Werbekampagnen steckt, versickern. Die schwarz-weiße Botschaft von Fortschritt oder Untergang im strukturschwachen Apuseni-Gebirge kommt bei den Rumänen immer weniger an. Selten hat Bukarest mehr versammelte Bürger gesehen.

Auch die Rumänische Akademie, die höchste wissenschaftliche Instanz des Landes, hat sich gegen das Projekt ausgesprochen und dieses Urteil mehrfach bestätigt. In Siebenbürgen mobilisieren die protestantischen Kirchen die ungarische Minderheit gegen die Mine. Schließlich kommt das Projekt unter die Wahlkampfräder der Präsidentschaftswahlen im November 2014.

Regierung spricht von misslungener Privatisierung

Denn niemand greift die Goldschürfer auf, solange in Bukarest die Machtverhältnisse nicht geklärt sind. Der inzwischen neu gewählte rumänische Präsident Klaus Iohannis hat das Projekt aber bereits im Sommer als „misslungene Privatisierung“ bezeichnet, die nur dem Investor zu Gute komme. Unterstützung hört sich anders an. Da hat der Investor schon mit einer Milliardenklage gedroht.

Weniger als 20 Jahre, nachdem die Kanadier den ersten Schritt in das Dorf im Apuseni-Gebirge gesetzt haben, ist heute nur dessen Hülle übrig geblieben. Dutzende Häuser im Dorf stehen ungenutzt da, wie bunte Plastikgebäude einer Modelleisenbahn. Auf dem runden Dorfplatz trifft sich keiner mehr. Nur noch ein Auto nutzt hier und da die Leere Fläche als Abstellplatz. Die Apotheke hat längst zugemacht. Der Arzt kommt nur noch zweimal in der Woche nach Roṣia Montana. In den Schulen werden zwei Stufen in einer Klasse unterrichtet. Und selbst die Kirchen leiden. In seiner kleinen unitarischen Gemeinde muss Arpad Palfi den sonntäglichen Gottesdienst manchmal alleine halten. Doch der Pfarrer hat das Dorf noch nicht aufgegeben. Wo eine Kirche stehe, da gebe es auch Leben, sagt er. Auf den Friedhöfen ist Gras über die Grabnarben gewachsen. 

Die Nachbarin komme jetzt regelmäßig, versuche aber immer noch, das Geschäft unerkannt wieder zu verlassen, sagt Sorin Jurca und lächelt milde. Tief sitzt das Misstrauen in den Gassen und zwischen den Menschen in Roṣia Montana. Es ist das einzige Erbe, das die Kanadier Rosia Montana hinterlassen haben. Ihre Büros in der Gemeinde haben sie offenbar geräumt, allen Angestellten jedenfalls gekündigt. Vom großen Versprechen nach Arbeitsplätzen und einer goldenen Zukunft sind nur die zerfransten Poster an den Säulen und Hauswänden geblieben.

Zumindest könne er seine Nachbarin jetzt am nächsten Sonntag auf dem Weg zu Kirche grüßen, seufzt Jurca. Sie, die im März ihren Job bei RMGC verloren hat, möchte nun die Zimmer in ihrem Haus an Touristen vermieten. Nur ein Bad muss sie zuvor noch bauen.

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