Beschneidung von Frauen in Ägypten

Mit Schauspiel gegen Genitalverstümmelung

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Beschneidung von jungen Mädchen in Ägypten gilt als Tradition – und soll zudem die Frauen auf dem rechten Weg halten. Eine Theatergruppe versucht mit ihrem Spielen gegen die Genitalverstümmelung anzugehen.

Viel Platz ist nicht in dem kleinen Raum des Gemeindezentrums von Camboha, einem Dorf in Oberägypten. Dicht an dicht sitzen die Mädchen nebeneinander. Doch Ahmed bahnt sich seinen Weg durch die Reihen von Holzbänken, kreischend, quietschend, in einem pinkfarbenen Kleid. Verfolgt von Sami, der ihm nachstellt mit den Worten „Hej, Kätzchen, wie geht’s Dir? Warte doch mal!“ Die Zuschauerinnen lachen Tränen, jede von ihnen hier kennt das Phänomen Belästigung aus dem eigenen Alltag. Von außen betrachtet scheint es nun noch absurder.

Szenenwechsel: Nun ist Sami die Frau. Er hat sich ein blaues Kopftuch umgeworfen, das er mit einer Hand am Kinn zusammenhält. Mit der anderen gestikuliert er wild in Richtung Schauspielerkollegin Sherin. „Du musst deine Tochter beschneiden lassen. Sie gerät sonst auf Abwege. Dann schaut sie links und rechts.“ Die Mädchen kichern immer noch, doch nun ist es kein ausgelassenes mehr, sondern eher ein verlegenes. Denn auch diese Szene kennt jede von ihnen aus eigener Erfahrung. Die Erinnerungen an den Tag der eigenen Beschneidung sind bei vielen noch nicht verblasst.

Nada Sabet, die Regisseurin des Stücks „HaraTV“, unterbricht die Szene. „Ok, was habt ihr gerade gesehen?“ Und plötzlich wird es still in dem kleinen Raum. Auffällig viele Mädchen starren auf ihr Handy, spielen mit ihren Fingern, zupfen ihre Kopftücher zurecht, um die unangenehme Stille zu überbrücken. Ein älterer Mann in Galabeya, dem traditionellen Gewand, steckt seinen Kopf neugierig durch die geöffnete Tür. Der Hausmeister vermutlich. „Wenn er da steht, kann ich nicht reden“, sagt ein zierliches Mädchen, ganz in Blau gekleidet, schließlich. Über Themen wie die Beziehung zwischen Mann und Frau, Sexualität oder gar Beschneidung zu sprechen, ist in Ägypten nicht einfach. In Gegenwart des anderen Geschlechts unmöglich. Nada Sabet bittet den Mann aus dem Raum und zaghaft entspinnt sich eine Diskussion.

Mit einer Rasierklinge werden Klitoris und Schamlippen entfernt

Über 90 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sind in Ägypten beschnitten. Egal, ob auf dem Land oder in Kairo, ob Muslimin oder Christin, ob Akademikerin oder Analphabetin. Das ist die Bilanz von Unicef. Höhere Zahlen gibt es nur in Somalia oder Sudan. Bei dem Eingriff werden den Mädchen im Alter zwischen neun und 13 Jahren Klitoris und Schamlippen entfernt, oft von einer Beschneiderin mit einer Rasierklinge, im besten Falle von einem Arzt.

Rada, das zierliche Mädchen in Blau, meldet sich als Erste zu Wort. „Wir sind hier alle beschnitten. Für uns kommt diese Aufklärungskampagne zu spät.“ Doch den Machern von „HaraTV“ geht es nicht allein darum, Beschneidung abzuschaffen. Sie sind realistisch genug, um zu wissen, dass sich jahrhundertealte Traditionen nicht durch 30 Minuten Comedy wandeln. Es gehe vor allem darum, ein Tabu zu brechen, zu diskutieren, abseits von Religion und Medizin. Auch Wege zu zeigen, wie Frauen trotz Beschneidung eine Art Sexualleben haben können.

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Das Konzept geht auf. Eine nach der anderen erzählt von ihren Erinnerungen, wie es ist, in Ägypten als Frau geboren zu werden. Davon, dass sie als Kinder nicht auf der Straße spielen durften wie die Jungs im Dorf, dass sie viele Pflichten im Haus und auf dem Feld haben, dass sie von klein auf gemaßregelt werden. Und schließlich ist es Rada, die sich traut, hier im geschützten Raum das auszusprechen, was viele junge Mädchen denken: „Ich werde meine Tochter ganz sicher nicht beschneiden lassen. Ich will nicht, dass sie genauso leidet wie ich.“

„Es hilft den Mädchen, rein zu bleiben“

Diese Erfahrung machten sie oft, erzählt Nada Sabet während einer kleinen Pause zwischen zwei Aufführungen. Sie kippelt mit ihrem Plastikstuhl an einem Geländer. Dahinter fließt der Nil, der hier deutlich sauberer ist als im vier Stunden entfernten Kairo. „Die junge Generation kann sich oft noch an ihre eigene Beschneidung erinnern und ist deshalb leichter zu überzeugen.“ Nada macht mit ihrem Handy ein paar Fotos von der Gruppe. Sie muss jeden Schritt des Projekts dokumentieren, so will es der Geldgeber, der Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen, für den Nada „HaraTV“ entwickelt hat. Bis Ende des Jahres jeden Tag drei Dörfer, drei Vorstellungen, drei Gratwanderungen. Es prallen Welten aufeinander, wenn die Hauptstädter anreisen. Auch bei der nächsten Station an diesem Tag wird das wieder deutlich.

Eine Schule ein paar Kilometer weiter. Eine Kinderschar hat den weißen Bus von Nada und Kollegen schon seit dem Ortseingang durch die engen Gassen des Dorfes begleitet. Besuch aus der Hauptstadt ist nicht alltäglich. Wieder sitzen die Frauen und Mädchen dicht an dicht auf Holzbänken, wieder bahnt sich Ahmed im pinkfarbenen Kleid seinen Weg durch die Reihen, auf der Flucht vor Sami, der ihm nachstellt. Wieder versucht Sami Sherin von der Unumgehbarkeit einer Beschneidung zu überzeugen. Doch diesmal sitzen auch ältere Frauen im Publikum, Frauen, die Sami im blauen Kopftuch mit überdrehten Gesten parodiert.

Batta Abd El Munaim hat ihre Arme vor der Brust verschränkt. Die große goldene Creole im linken Ohr hebt sich vom Schwarz ihres Schleiers ab. Ihr Gesicht ist von der Sonne gebräunt, gütig, aber reserviert. Ab und zu lächelt sie über das Schauspiel der Hauptstädter, überzeugen kann es die 50-Jährige nicht. Natürlich müsse Beschneidung sein. Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, wiederholt sie das Müssen ein zweites, ein drittes Mal. „Es hilft den Mädchen, rein zu bleiben.“ Was genau sie unter Reinheit versteht, diese Antwort bleibt Batta schuldig. „Wir können nicht auf jedes Mädchen einzeln aufpassen, dass es nicht auf Abwege gerät. Wir brauchen sie schließlich auf dem Feld.“ Battas Worte spiegeln das Frauenbild der ägyptischen Gesellschaft: Es spricht Mädchen die Fähigkeit ab, ihre Sexualität zu kontrollieren.

Trotz Verbot werden Tausende verstümmelt

Nada hört Batta geduldig an, gibt ihre Aussagen ans Publikum weiter zur Diskussion. Nicht urteilen, das ist Teil des Konzepts. Dazu gehört auch, Meinungen zuzulassen, die es so eigentlich schon nicht mehr geben dürfte. Beschneidung steht seit 2008 offiziell unter Strafe. Doch wo kein Kläger, da kein Richter. Trotz Verbots werden nach wie vor tausende Mädchen verstümmelt, Prozesse gibt es bisher nur einen einzigen. Sohair Al Bataa hat ihre Beschneidung nicht überlebt. Ihr Vater und der behandelnde Arzt stehen deshalb vor Gericht. Beschneidungsgegner feiern den Prozess als Revolution, ein Urteil steht noch aus.

Die zweite Aufführung des Tages neigt sich dem Ende zu. Die Frauen und Mädchen im Saal diskutieren wild durcheinander, sind aufgewühlt, Nada hat Mühe, die Diskussion zu lenken. Sie hebt einen Arm und bittet um Ruhe. Mit dem anderen erteilt sie einer Frau in der Ecke das Wort. Auf ihrem Schoß schläft ein kleines Mädchen. Sie habe noch ein zweites Kind, sagt sie, auch eine Tochter. 13 sei sie jetzt. Seit Wochen hadere sie, ob sie das Mädchen beschneiden lassen solle oder nicht. Doch nun sei sie sich sicher, es nicht zu tun. Es ist ein versöhnlicher Abschluss für diese Vorstellung und für Nada ein Zeichen, dass es sinnvoll ist, was sie hier tun.

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  1. 2006 hat Rüdiger Nehberg von TARGET eine Fatwa erreicht, in der führende islamische Geistliche die Verstümmelung der Genitalien von Mädchen als gegen die Ethik des Islam gerichtet verboten. TARGET ist weiterhin sehr erfolgreich im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung in vielen Ländern Afrikas.

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