Von Pakistan nach Afghanistan

Plötzlich Terroristen

Reportagen-Melder
Verpasse keine neue Reportage! Wir benachrichtigen Dich kostenlos per E-Mail. Mit dem Eintrag stimmst Du zu, dass wir Deine Daten speichern, wir verwenden sie ausschließlich zu diesem Zweck.

Ende April 2014 schafften es zwei Brüder aus Berlin unfreiwillig auf die Titelseite der „BILD“-Zeitung. Die Schlagzeile: „Zwei deutsche Extremisten in Pakistan gefasst!“ Doch die vermeintlichen Terroristen waren nur Touristen. Einer der Brüder berichtet auf WELTSEHER, wie es dazu kam.

Es ist Frühling in Pakistan. Die Sonne schmilzt nach und nach die letzten Gebirgspässe im Nordwesten frei. Das Land atmet auf und die Menschen tun es auch. Mein kleiner Bruder, ein alter Freund und ich setzen unsere Reise nach sechs Wochen voller schöner Momente und gastfreundlicher Menschen fort.

Wir wollen weiter gen Westen – nach Afghanistan. Mit den nötigen Visa ausgestattet bleibt nur die Frage, wie wir dahin gelangen sollen. Der kurze Flug von der grenznahen Stadt Peshawar nach Kabul ist uns entschieden zu teuer. Und nicht nur das: Ein Flug erscheint uns dreien auch äußerst langweilig.

Also reisen wir auf dem Landweg. Doch unseren Freund müssen wir zurücklassen. Ihm geht es nicht gut. Das Essen in den Straßenrestaurants hat ihn krank gemacht. Wahrscheinlich, weil man dort die fettigen Teller nur mit schmierigen Lappen trocken abwäscht. Notgedrungen muss er später mit dem Flugzeug nachkommen.

Über den Chaiber-Pass nach Afghanistan

Mein Bruder Benedict und ich fahren nach Peshawar nahe der Grenze zu Afghanistan. Vor Ort versuchen wir uns schlau zu machen, wie es mit der Einreise per Bus über den berühmten Chaiber-Pass (engl. Khyber Pass) aussieht. Es ist die einzige offizielle Straßenverbindung zwischen Pakistan und Afghanistan. Überall hören wir uns um. Doch von jedem bekommen wir eine andere Antwort. Viele Einheimische haben Bedenken. Zu unsicher sei die Route über den Pass.

Der Weg über den Chaiber Pass ist berühmt-berüchtigt für Überfälle und Entführungen. Offizielle Stellen raten von einer Grenzüberquerung in dieser Region ab, weil ein Großteil der Strecke durch die gefürchteten „Tribal Areas“ führt – die Stammesgebiete im Grenzgebiet der beiden Länder, die ihren ganz eigenen Gesetzen unterliegen.

Der Aabpara-Market in Islamabad. Die Stadt wurde in den 1960er am Reißbrett entworfen und ist vergleichsweise modern und progressiv. Gute Infrastruktur, hohes Bildungslevel und Frauen können sich hier auch mal ohne Kopftuch bewegen.
Die Altstadt von Peshawar. Pferde und Esel sind abseits der großen Straßen noch immer häufig vertreten, da sie sich auch bei Stau und schlechten Straßenzuständen gut bewegen und zudem eine Menge transportieren können.
Der öffentliche Verkehr läuft im Norden meist mit den kleinen Suzuki-Bussen, da nur diese mit völliger Überladung die horrenden Steigungen meistern können.
Um nicht zu sehr in Pakistan und besonders in der Grenzregion aufzufallen, haben sich die beiden Brüder und ihr Freund Bärte wachsen lassen. Zudem tauschten sie ihre Jeans gegen einen gemütlichen Shalwar-Kamiz.

Das Gebiet ist außerdem als Rückzugsort für die Taliban bekannt. Das gilt allerdings eher für den südlichen Teil der Stammesgebiete. Als wir schließlich in der Region Chaiber ankommen, wimmelt es nur so von Polizisten und Soldaten. Das erzeugt bei uns ein Gefühl relativer Sicherheit.

Ohne Sondergenehmigung läuft nichts

Zudem haben wir uns in den Wochen zuvor ordentliche Bärte wachsen lassen. Statt Hemd und Jeans tragen wir nun konsequent die in der Region üblichen Shalwar Kamiz, einen Zweiteiler aus einer Pumphose und einer Art Nachthemd. Damit sind wir als Europäer in dieser Gegend zwar nicht unsichtbar aber zumindest deutlich weniger auffällig. Oft verwechseln uns die Menschen mit Paschtunen. Die traditionelle Kopfbedeckung macht unsere Verkleidung komplett.

Nach einigen Tagen in der geschichtsträchtigen Hauptstadt der Paschtunen versuchen wir unser Glück. Um zur afghanischen Grenze zu gelangen, müssen wir zunächst zum Karkhano Market, dem letzten westlichen Ausläufer von Peshawar. Mitten auf dem Markt verläuft die unsichtbare Grenze zu den Stammesgebieten. Von hier aus soll es möglich sein, einen Bus zu ergattern – oder notfalls auch für 20 US-Dollar ein Taxi zu der 50 Kilometer entfernten Landesgrenze zu nehmen.

Nahe dem berüchtigten Schmugglerbasar an der Busstation sagt uns jemand, dass hier ohne eine Sondergenehmigung nichts laufen wird. Und dann auch das noch: Das zuständige Büro in der Stadt ist für die nächsten drei Tage geschlossen. Drei Tage! Das ist nichts, was ein Reisender gern hört, schon gar nicht, wenn er unbedingt weiter fahren möchte. Einige ominöse und verwegen aussehende Taxifahrer bieten uns an, uns auf Schleichwegen zur Grenze zu bringen – doch ihnen steht eine gewissenlose Durchtriebenheit ins Gesicht geschrieben. Wir lehnen dankend ab. Resigniert spazieren wir über den Markt und gönnen uns eine Limonade, um die ganze Sache in Ruhe zu überdenken. Das Resultat ist einfach, wir geben unsere Pläne mit der Afghanistanreise auf.

pakistan_kuhn_dorf_altermann_trenner.jpg

Per Zufall illegal ins Stammesgebiet

Vor dem Heimweg wollen wir uns noch schnell etwas zum Essen kaufen und in Ruhe über den Markt flanieren. Unbedacht schlendern wir durch die Marktgassen und vergessen, dass irgendwo auf diesem Markt die unsichtbare Grenze zu den Stammesgebieten verläuft. Kein Schild weist einen darauf hin. Aber irgendwo, für uns zu dem Zeitpunkt leider unbekannt, gibt es einen Grenzposten.

So kommt es, dass wir keine zehn Meter vor einer Kebab-Bude von einem Polizisten angesprochen und zu seinem Vorgesetzten geführt werden. Die Grenzstation befindet sich am hinteren Ende des Marktes. Der Vorgesetzte, ein dicklicher Mann mit Brille und Schnauzer, erhebt sich sofort mit einem Lächeln von seinem Stuhl und bietet ihn meinem Bruder an. Ein weiterer Herr mit Schnauzbart macht eine weitere Sitzmöglichkeit für mich frei.

Es folgt ein kurzes Gespräch. Wie sich dabei herausstellt, waren wir ohne es zu wissen hinter den Straßengrenzposten geschlendert. Soweit ist das offenbar aber erst einmal kein Problem. Die Beamten sind freundlich und entspannt. Jedenfalls so lange, bis ein junger und übermotivierter Kamerad ins Zimmer kommt und wild mit seinem Finger vor unserer Nase herumfuchtelt. Er macht uns noch einmal lautstark deutlich, dass wir hier bereits in den Stammesgebieten seien und das ja eigentlich nicht erlaubt sei.

Weiter Richtung Grenze, oder doch nicht?

Wir erklären erneut unser Anliegen, nach Afghanistan reisen zu wollen. Die Polizisten geben uns Limonade. Nach gemeinsamen Herumalbern, versprechen sie uns, per Telefon eine Genehmigung zu erwirken.

Voller Freude hüpfen mein Bruder und ich auf einen Pickup, der uns durch das berühmte Chaiber-Tor fahren und in eine größere Grenzstation in Jamrud bringen soll. Wir düsen in Zielrichtung ab und lassen Pakistan zurück. In diesem Moment, so denken wir, sieht alles wieder gut aus. Wir haben mal wieder mehr Glück als Verstand. Zu dem Zeitpunkt ahnen wir nicht, wohin unsere Reise noch führen wird.

In Jamrud ist man uns ebenfalls sehr freundlich gesonnen. Wir werden direkt zum Chef der Polizeistation geführt, der davon von seinem Nickerchen auf einer Liege geweckt wird. Wir setzen uns, sprechen belangloses Zeug und im Minutentakt kommen neue, scheinbar noch wichtigere Persönlichkeiten.

Ausweise und frittierte Hühnchen

Jedes Mal läuft es auf dieselbe Art ab. Begrüßen und Smalltalk: „Wie geht’s? Bist du verheiratet? Wie findest du Pakistan? Bist du Moslem? Deutsche sind unsere Brüder!“ Alles scheint einem festgelegten Prozedere zu folgen. Als dann der Raum zum Bersten voll ist und wir unsere Geschichte bereits vier Mal aufs Neue erzählt haben, macht jemand eine bedeutsame und ernste Ansage. Fast alle verlassen nun den Raum.

Also alles wieder auf Anfang. Nach und nach tröpfeln neue Gestalten herein und das große Begrüßen und Erzählen beginnt aufs Neue. Wir bekommen langsam Kohldampf und reiben uns auffällig unauffällig die Bäuche. Diese subtile Botschaft wird verstanden. Jemand schickt einen Jungen los, um frittiertes Hühnchen zu besorgen. Als das Essen eintrifft, rollen sie auf dem Boden ein Tischtuch aus und wir langen kräftig zu. Plötzlich springen alle auf und drücken den Rücken durch.

Ein junger dicker Mann in weißer, traditioneller Kleidung betritt den Raum, grüßt alle gelangweilt und blättert mit ernster Miene in unseren Pässen. Das hatten 15 andere Männer vor ihm auch schon getan. Doch diesmal ist es anders. Während sich der Dicke mit unseren Ausweisen beschäftigt, schauen die anderen Anwesenden ausdruckslos an die Zimmerwände. Keiner macht einen Mucks. Nur der Zweitwichtigste im Raum murmelt mit unterwürfigem Ton Erklärungen zu unseren Pässen und assistiert beim Blättern.

Zurück nach Peshawar

Die zuvor fröhliche und ausgelassene Stimmung ist mit dem Neuankömmling stark abgekühlt. Eine weitere Person in Zivil kommt hinzu und blättert in unseren Ausweisen und greift zum Telefon. Mit mitleidiger Stimme teilt er uns schießlich mit, dass der Landweg für uns leider nicht möglich sei. Er habe alles versucht, aber der Weg sei nicht ungefährlich, selbst mit einer Militäreskorte, die man uns selbstverständlich stellen wollte.

Schade! Es war ein netter Versuch und zudem ein spannendes Intermezzo mit der Tribal-Police. Zum Abschied versammelt sich die gesamte Belegschaft auf dem Innenhof der Polizeistation. Wir verabschieden uns mit Handschlag und Umarmung und bekommen ein paar Polizisten, mit Kalaschnikows bewaffnet, als Geleitschutz für die Rückreise nach Peshawar mit. Wir gucken dann aber nicht schlecht, als der Pickup nicht direkt zurück in die Stadt fährt, sondern unterwegs zu einer anderen Polizeistation abbiegt. Wir sind höchst verwirrt.

Die neuen Polizisten sind deutlich beschäftigter, das Büro ist voller Menschen und wir werden nicht gefragt, was denn bei uns eigentlich Sache sei. Die Beamten beginnen gleich mit dem massenhaften Kopieren unserer Pässe. Scheinbar braucht jeder der Anwesenden mit Sternen auf der Schulter sein ganz persönliches Exemplar. Zudem studiert jeder Einzelne mit höchster Konzentration unsere Papiere.

pakistan_kuhn_maenner_gruppe.jpg

Die Alpen sind auch schön

Besonders mein Pass gibt den Männern in Uniform große Rätsel auf. Bis auf eine Seite ist dieser voll mit Visa und Stempel aller Herren Länder. Meine Erläuterungsversuche, was es mit den vielen Reisen auf sich hat, treffen aber nur auf Unverständnis. Stattdessen werden wir wieder mit Limonade versorgt. Polizisten und Zivilisten geben uns ihre privaten Nummern und wollen sich mit uns verabreden oder bieten an, dass man sie im Ernstfall kontaktieren solle.

Ein kollektiver Ratschlag der Anwesenden lautet: Wir sollen besser wegfliegen. Und zwar nicht nach Kabul, sondern eher zurück nach Deutschland. Die Alpen seien doch auch ganz wunderbar. Zumindest glaubt einer der Anwesenden, das einmal im Fernsehen gesehen zu haben. Es formiert sich eine Art gut gemeinte Abschiebe-Front gegen uns. Von verschiedenen Seiten quasseln die Leuten auf uns ein, unser Reiseziel spontan um einige Tausend Kilometer nach Westen zu verlegen.

Plötzlich betreten zwei Männer mit einer Kamera den Raum. An uns haben sie offenbar kein Interesse – sie sprechen nur mit dem Chef. Ohne uns weiter etwas dazu zu denken, plaudern wir weiter mit den beiden Soldaten. Doch kurze Zeit später bekomme ich eine SMS von einem pakistanischen Freund. Er habe uns gerade in den Nachrichten im Fernsehen gesehen. Die Meldung lautet: „Two German nationals were arrested, illegally passing to Afghanistan through the tribal area Khyber Agency.“

Für unsere persönliche Sicherheit

Der Abend ist längst angebrochen, als wir endlich gehen dürfen. Die Polizisten sagen uns, dass wir in ein Hotel in Peshawar gefahren werden. Die Beamten rufen ihre Kollegen vor Ort an und kündigen uns an. Inzwischen sind seit unserem Aufgreifen auf dem Markt gute fünf Stunden vergangen. Ausruhen wäre schön. Stattdessen sollen wir nun noch in der Polizeistation neben dem Hotel vorsprechen. Es gehe um unsere persönliche Sicherheit, heißt es.

Langsam zehrt das Ganze an unseren Nerven. Wir sind müde und haben alles gesagt, was gesagt werden muss. Wieder springen wir auf den Pickup. In der Polizeistation in der Altstadt beginnt das Spiel nun zum dritten Mal von vorne. Die Schranke zum Innenhof des Geländes geht hoch, die Tore öffnen sich, Maschinengewehrschützen salutieren. Hinter den Mauern im Hof steht das ausgebrannte Auto vom letzten großen Anschlag auf die Station. Hier sind die Sicherheitskräfte deutlich nervöser. Ich muss daran denken, wie ein einheimischer Freund mir erklärte, dass die Polizei sich in der Stadt hauptsächlich selbst schützen müsse.

Wir sind Brüder und Gäste

Wieder werden die Daten der Pässe abgeschrieben und massenhaft Kopien angefertigt. Wieder sind die Diensthabenden durcheinander. Wieder erscheinen Leute mit Kameras, setzen sich auf die andere Seite des Raumes und versuchen uns unauffällig zu filmen. Das rote Licht an der Kamera leuchtet auf, also stützen wir den Kopf auf die Hände und kratzten uns im Gesicht. Mein Bruder steht irgendwann auf, möchte die Aufnahmen sehen und schaut dem Typen über die Schulter. Mein Gesicht ist in der Großaufnahme, also fordert er streng: „Stop filming!“ – worauf jener nur „No problem!“ erwidert – und weiterdreht.

Wir beschweren uns bei den Polizisten, finden aber kein Gehör. Erst als einer der Reporter etwas zum Chef sagt, schnauzt dieser den Journalisten an und das Presseteam muss das Büro verlassen. Wie sich dann herausstellt, dachten die Journalisten, wir wären Terroristen. Alle im Raum beteuern nun, dass wir ihre Brüder und Gäste seien.

Standpauken

Zur Erfrischung gibt es wieder eine Runde Limonade. Bevor wir die Wache verlassen dürfen, werden die Angestellten unseres Wunschhotels einbestellt. Sie sollen uns gefälligst abholen, meinen die Polizisten. Wir freuen uns, dass der Spuk endlich ein Ende hat. Der Polizeichef faltet die Hotelleute allerdings ordentlich zusammen, weil ihr Hotel nicht im Ansatz den Sicherheitsbestimmungen entspreche, um Ausländer aufzunehmen.

Einen Moment lang sieht es wieder so aus, als dürften wir endlich gehen. Wir schütteln wieder Hände, werden umarmt und satteln gerade unsere Rucksäcke, als ein freundlich aussehender Herr in blütenweißem Shalwar Kamiz den Raum betritt. Wir satteln wieder ab, unterhalten uns ein wenig auf Englisch und bekommen schließlich einen langen Vortrag darüber, dass wir weder hier noch in Kabul etwas zu suchen hätten. Alles sei viel zu gefährlich für Ausländer. Ich verkneife mir die Frage, ob seiner Meinung nach die Alpen eine Alternative wären und nicke.

Die Standpauke über unsere Reisegewohnheiten scheint kein Ende zu nehmen und wie zwei Schuljungen senken wir demütig die Köpfe. Als wir ausreichend väterlich ausgeschimpft sind, nimmt er schließlich Zettel und Stift und schreibt ebenfalls die Daten aus unseren Reisepässen ab. Neu ist nur, dass wir auch unseren „Tribe“ (Stamm) angeben sollen. Wir stutzen etwas und entscheiden uns dafür, einmal Franke und einmal Friese anzugeben – „Friesistan“, wie mein Bruder stolz verkündet.

Das Verhör beginnt

Erst jetzt, nach guten sieben Stunden, beginnt das eigentliche Verhör. Das erste Mal werden wir ernsthaft befragt. Wo wir denn die Zeit über in Pakistan gewesen seien, das Einreisedatum und die Uhrzeit, welche Städte haben wir besucht, in welchen Hotels haben wir gewohnt? Was haben wir gemacht, mit wem haben wir gesprochen? Und überhaupt, was wollen wir eigentlich in Pakistan?

Die Antworten sind nicht einfach. Wir sind viel herumgereist, getrampt, hatten draußen oder bei spontanen Bekanntschaften geschlafen und an die paar Hotels, in denen wir waren, können wir uns namentlich kaum erinnern. Dass wir dazu auch keine Quittung für die Preise von ein bis zwei Euro pro Nacht aufgehoben haben, macht uns in seinen Augen höchst verdächtig.

Dass wir die Bevölkerung in Pakistan als nett, gastfreundlich und zuvorkommend beschreiben und uns hier pudelwohl fühlen, ergibt in seinen Augen keinen Sinn. Irgendetwas muss bei den Jungs im Busch sein! Er untersucht unsere Telefone, notiert Nummern und liest unsere privaten SMS. Mir wird flau im Magen, wir wollen unsere Freunde nicht mit in die Sache hineinziehen.

Als dann ein Haufen an den Händen zusammengeschnürter Verbrecher in das Büro gedrängt wird und der Polizeichef lautstark auf sie ein brüllt, werden wir in einen speziellen Untersuchungsraum geführt. Hier stehen zwei Tische, ein paar alte Stühle. Eine Glühbirne hängt von der Decke. Es ist wie im Film – Der Putz blättert von den Wänden und es gibt kein Fenster. Langsam dämmert uns, dass der Typ kein Polizist, sondern vom Geheimdienst sein muss, da seine Erscheinung an sich schon imposant und beeindruckend ist aber vor allem, weil seine Fragen um einiges schärfer klingen als alles andere, was wir bisher beantworten mussten.

Guter Bulle, böser Bulle

Das Verhör zieht sich. Zwei weitere Männer, die sich direkt als Agenten vom pakistanischen Geheimdienst ISI vorstellen, stoßen dazu. Wir verstehen die Welt nicht mehr. Uns wird deutlich gemacht, dass es ganz wichtig sei, dass wir uns an alles erinnern und ausschließlich die Wahrheit sagen. Wir nicken beklommen. Diese Jungs meinen es ernst und greifen bei ihrem Verhör auch gleich ganz tief in den Methodenkoffer. Wir werden etwas gefragt, antworten und werden unterbrochen, bekommen eine neue Frage, werden wieder unterbrochen und eine der vorherigen Frage wird wiederholt.

Dann spielen sie noch guter Bulle, böser Bulle und lassen währenddessen unser Gepäck von drei Handlangern inspizieren. Wir müssen die Bilder auf unserer Kamera und dem Laptop zeigen und Personen identifizieren. Und erklären, wie und unter welchen Umständen wir Leute kennengelernt haben und was wir überhaupt in Pakistan machen. Dies sei schließlich kein Ort für Touristen.

Alles nur zu unserer Sicherheit

Wir nennen die schöne Natur und die freundlichen Menschen als Grund, doch das wollen sie nicht gelten lassen. Bitte nur die Wahrheit, ermahnt uns einer der Agenten. Was haben wir in Peshawar getrieben? Waren wir auf dem Basar? Was haben wir gekauft, von wem und wie viel haben wir bezahlt? Und warum? Wieder viel Misstrauen, da die Stände alle gleich aussehen und wir keine Verkäufer namentlich nennen können, nur den ungefähren Ort ihrer Läden. Auch die wenig exakten Aufenthaltsdauern in den jeweiligen Gebieten und Städten treiben Furchen in die Stirn meines Gegenübers.

Irgendwann wird mir das ganze Spielchen zu bunt. Ich erhebe mich ruckartig vom Stuhl, sodass dieser nach hinten wegkippt und frage lautstark mit einer Mischung aus Ernst, Wut und Verdrossenheit, was man denn eigentlich wirklich von uns wolle? Die Nummer mit unserer „persönlichen Sicherheit“ sei unter diesen Umständen doch wirklich absurd. Ich frage direkt: „Halten Sie uns für Spione oder Terroristen?“ Nur schwer kann ich die Lautstärke meiner Stimme drosseln, diese perfide Art des Verhörs macht mich sauer. Die Antwort lautet wieder: „Nein, niemals!“, alles sei nur zu unserer Sicherheit.

Und die Fragen gehen weiter. Nach etwa einer weiteren Stunde, in der wir kaum antworten können, entdeckt einer der drei Männer etwas auf meinem Laptop. Nach einem kurzen Gespräch von dem ich nichts verstehen kann, wechselt die Stimmung plötzlich ins Gelassene, ja fast schon Freundschaftliche. Zu unserem Erstaunen dürfen wir endlich gehen. Die Agenten helfen sogar noch das Gepäck wieder zu verstauen.

An Schlaf ist nicht zu denken

Wir sind höchst verwirrt, was diese plötzliche Entlassung verursacht hat. Schnell gehen wir Richtung Ausgang und sind kaum überrascht, als kurz vor dem Verlassen der Station noch ein weiterer Typ auftaucht. Er bittet uns in das bisher größte Büro des heutigen Tages. Es beginnt das übliche Prozedere: Passkopieren und Fragen. Es ist inzwischen halb eins am Morgen. Unsere Antworten fallen nur noch einsilbig aus. Zum Ende fragt uns der Oberbeamte in welches Hotel wir möchten. Wir geben das Hotel drei Häuser weiter an, dessen Angestellte noch immer im Nebenraum sitzen und auf uns warten. Ein Polizist führt sie herein und der Chef gibt Anweisungen. Plötzlich sei das Hotel leider ausgebucht. Sonst seien wir aber immer willkommen.

Glücklicherweise weiß er von einem guten Luxushotel um die Ecke. Drei bewaffnete Polizisten begleiten uns zum Pickup und wir fahren zum Hotel. Einchecken, endlich! Die Polizisten weisen den Hotelangestellten an, für den nächsten Tag ein Taxi zum Busbahnhof zu organisieren. Wir sollen nach Islamabad abreisen.

Danach dürfen wir auf unser Zimmer gehen. Es liegt im obersten Stockwerk, die drei Polizisten, die uns zum Hotel begleitet haben, beziehen ihre Position auf unserer Etage. Mein Bruder und ich sind völlig im Eimer und fallen erschöpft auf die Betten. Doch Schlaf ist uns noch nicht vergönnt. Das Telefon klingelt und wir müssen noch einmal runter zur Rezeption, weil jemand nach uns verlangt.

Neue Agenten, neue Fragen

Zwei neue Agenten warten in der Lobby. Sie verzichten auf eine Begrüßung und verlangen direkt unsere Reisepässe, dann beginnen sie mit ihren Fragen. Nach einem kurzen Gespräch dürfen wir wieder auf unser Zimmer.

Aber wir trauen dem Braten noch nicht. Es ist nun fast zwei Uhr, wir sind völlig übermüdet, können aber nicht mehr schlafen und werden etwas paranoid. Wird unser Zimmer abgehört? Was wollen die eigentlich wirklich, also so WIRKLICH wirklich von uns und warum wurde das Verhör mit dem ISI so plötzlich abgebrochen, wo doch viele Fragen unsererseits noch gar nicht beantwortet waren.

Jedenfalls dämmert es uns, dass wir nicht zufällig im sechsten Stock untergebracht wurden und die drei Polizisten vor unserem Zimmer nicht zu unserem Schutz sondern als Wachen da sind. Wir stehen quasi unter einer Art Luxus-Arrest. Zur Vorsicht notieren wir die Notfallnummer der deutschen Botschaft auf unseren Innenschenkeln und versuchen vergeblich, die Zahlenkette auswendig zu lernen. Wir flüstern nur noch, versuchen dabei möglichst zu nuscheln und Plattdeutsch zu sprechen. Ein wildes Schreckensszenario jagt in unseren Köpfen das nächste. Wer wird uns morgen wecken? Dürfen wir wirklich abreisen? Können wir noch jemanden kontaktieren und über unseren Verbleib informieren? Gegen halb vier fallen wir endlich in einen unruhigen Schlaf.

Paranoide Vorstellungen und ein Knall

Der nächste Morgen bringt keine bösen Überraschungen mehr. Das Hotel und die Wachen verabschieden uns mit einem wissenden mürrischen Nicken. Dieses eher provokante Nicken, wobei Kopf und Kinn ruckartig nach oben und vorne geschoben werden. Man steckt uns in ein Taxi, zwei Bewaffnete folgen uns auf einem Motorrad. Und tatsächlich, wir atmen auf, als der Wagen die Straße zum Busbahnhof einbiegt. Der Taxifahrer lässt sich auf ausgewickeltem Schokoladenpapier von uns quittieren, dass wir mit seiner Hilfe ein Ticket für einen Nobel-Bus nach Islamabad gekauft haben und verschwindet.

Wir sind fast raus aus der Sache, aber wir sind immer noch völlig paranoid. Folgt uns jemand? Wieso gucken die beiden Typen dauernd rüber und ist das die Silhouette einer Pistole unter seinem Hemd? Es ist verzwickt, denn hier wird man als Ausländer dauern angestarrt, aber plötzlich ist in unseren Augen jeder ein potenzieller Spion. Wir fühlen uns wie damals mit dreizehn Jahren, als wir heimlich geraucht hatten. Jeder Blick eines Erwachsenen war durchbohrend. Es scheint als wüsste jeder haargenau, was man verbrochen hat. Wir haben die Nase gestrichen voll und wollen endlich weg.

Nach einer quälenden halben Stunde des Wartens startet endlich der Motor des Busses. Beim Hinausfahren aus der Stadt rumst es plötzlich in der Nähe so gewaltig, dass der Busfahrer abrupt abbremst. Alle im Bus pressen ihre Nasen gegen die Scheiben und spähen nach draußen. Eine Bombe? Ein Anschlag? Uns sausen in Sekundenschnelle Verschwörungstheorien durch den Kopf. Ob die Explosion vom ISI veranlasst wurde, um sie uns anzuhängen? Zeitlich würde es doch perfekt passen. Kalter Schweiß bedeckt meine Brust und ich bleibe auf meinem Sitz, die Hände in die Lehnen gekrallt starre ich geradeaus. Aber nein, alle Vermutungen liegen völlig daneben. Es war nur ein geplatzter Autoreifen.

In der Heimat auf Seite eins

Im Bus gibt es eine englischsprachige Zeitung. Auf Seite zwei entdecken wir eine Meldung über unser Ergreifen. In Islamabad angekommen gehen wir direkt in ein Internetcafe. Unsere E-Mail-Postfächer sind voll. Manch einer gratuliert humorvoll zu einer Erwähnung auf der Titelseite der „BILD“-Zeitung, andere fragen besorgt nach unserem Wohlergehen. Jedenfalls scheint jeder zu wissen, dass es sich bei den Berliner Brüdern um uns handelt. Wir fühlen uns irgendwie prominent, sind aber auch ängstlich, dass jemand die Boulevardpresse mit Namen und Bildern versorgen könnte. Aber irgendwie ist Deutschland gerade auch ganz weit weg.

Hier haben wir dringendere Probleme. Wir beschließen die Beine in die Hand zu nehmen und begeben uns auf eine Reise nach Norden in die Berge. Die Straße ist teils gesperrt und so brauchen wir ganze vier Tage für knapp 300 Kilometer, um uns wieder mit unserem Reisepartner zu vereinen. Unterwegs versuchen wir den Kontakt zur Polizei zu vermeiden, aber das ist auf dem berühmten Karakoum-Highway kaum möglich, da sich hier einige Zeit zuvor Schiiten und Sunniten in die Haare bekommen haben und alles voller Checkpoints ist.

Beim Frühstück in Abottabad verlangt ein Mann in Zivil unsere Pässe. Uns rutscht das Herz in die Hose. Nicht noch einmal! Der Mann verschwindet für einige Minuten. Kommentarlos kehrt er an unseren Tisch zurück und händigt uns die Papiere wieder aus. Wir schlussfolgern, dass wir nun bespitzelt werden, dass wir uns zwar frei bewegen dürfen, aber die ganze Zeit im Auge behalten werden. Und tatsächlich, in Gilgit treffen wir unseren Freund und telefonieren mit seinem Telefon unsere pakistanischen Bekannten ab. Viele von Ihnen wurden vom Geheimdienst kontaktiert, man hatte sie auf Dinge angesprochen, die nur dem SMS-Verkehr entnommen sein konnten. Ich bemerke auch, dass meine deutsche SIM-Card, man hatte sie mir im Verhörzimmer zur Überprüfung abgenommen und später wiedergegeben, völlig leer ist. Alle Kontakte sind gelöscht.

Im Blick der Geheimdienste

In den folgenden Wochen treffen wir immer wieder auf ominösen Gestalten, die uns nachstellen. Solange wir uns in den Bergen durch die Natur wandern, fällt uns niemand auf. Doch sobald wir in belebtere Gegenden kommen, hängt sich wieder ein verdächtiger Typ an unsere Hacken und das mehr schlecht als recht, in der Regel unbeabsichtigt auffällig.

Die Angst vom ISI wieder aufgegriffen zu werden, verfliegt mit der Zeit. Wir amüsieren uns über die Typen und ihr dilettantisches Nachspionieren. Mein Favorit ist ein kleiner schmieriger Typ, der sich oben in Hunza in einem leeren Hostel im Speiseraum unaufgefordert neben uns setzt und sich mit einem schleimigem Lächeln als Einheimischer vorstellt. Er sieht nur leider kein bisschen wie ein Einheimischer aus. Keine Wettergegerbte Haut, kein heller Teint.

Derweil geht der Medienrummel in der Heimat offenbar weiter. Ein Journalist von Spiegel Online meldet sich und will ein Interview über Skype führen. Ich nutze die Gelegenheit und erkläre, dass wir keine Terroristen, Islamisten oder Fundamentalisten sind. Eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur hatte das Gegenteil behauptet und von unserer Verhaftung im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet berichtet. So landeten wir auch auf der Titelseite der „BILD“.

Ich erkläre, dass wir zu keinem Zeitpunkt verhaftet worden sind, sondern vor allem viel Limonade bekommen haben. Ich und mein Bruder sind nur Touristen. Daraufhin klingt der Journalist fast wie die ISI-Agenten: „Aber warum ausgerechnet ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet? Die Region gilt als extrem gefährlich.“ Ich antworte, dass wir hier die gastfreundlichsten Menschen getroffen haben. Wir machen uns gerne selbst ein Bild von der Welt.

3

  1. Made my day, Real-Satire a la Kishon. Interessiert mich, auf welchen Listen man nach solch einem Vorfall überall gelandet ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.