Boxen: Namibias größte Olympia-Hoffnung

„Überall auf dem Boden war Blut“

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Der Mittelgewichtsboxer Mujandjae Kasuto gilt als Namibias größte Medaillenhoffnung seit dem Sprinter Frankie Fredericks. Unser Autor Felix Mescoli hat ihn in seiner Küche in einem Windhoeker Armenviertel besucht.

Es riecht nach Schweiß! Mujandjae Kasuto ist gerade dabei, in einer grünen Plastikschüssel seine Trainingsklamotten zu waschen. Wie in Zeitlupe bewegt er die triefenden Jerseys in den blau-rot-grünen Landesfarben Namibias auf und nieder. Kasuto ist müde. Der 26-Jährige hat heute schon zwei aufreibende Übungseinheiten hinter sich. So kurz vor den Olympischen Spielen in London trainiert der Amateurboxer besonders hart. Durchs winzige Küchenfenster fallen die letzten Strahlen der Abendsonne. Es ist eng in der Einzimmerwohnung, die der Sportler mit Frau – sie ist Lehrerin – und Kind im ehemaligen Windhoeker Township Katutura bewohnt.

In seine Trainingseinrichtung, eine heruntergekommene ehemalige Lagerhalle mit eingeworfenen Fensterscheiben, wollte mich die Armee nicht hineinlassen. Kasuto ist Angehöriger der Streitkräfte – fast die einzige Möglichkeit für Namibias ambitionierte Sportler an Geld zu kommen. Eine Nachwuchsförderung durch die Verbände gibt es nur selten. Und Kasutos Vorgesetzte haben eigenwillige Vorstellungen, was die Zugänglichkeit ihrer Athleten für die Öffentlichkeit angeht. Auch dieses Treffen in seiner Wohnung kommt erst nach mehreren Telefonaten und einem Besuch beim nationalen Boxverband (NBF) zustande.

Im südlichen Afrika alles gewonnen

In der Küche, die auch als Wohzimmer dient, steht ein Fernsher, der Bildschirm hat einen Sprung. „Den hat mein zweijähriger Sohn mit einer meiner Medaillen eingeworfen“, sagt Kasuto breit grinsend und rückt dem Gast einen Plastikschemel zurecht. An der Wand hängen dutzende Trophäen. Auf nationaler Ebene und in der Wettkampfzone 6, dem südlichen Afrika, hat der Mittelgewichtler (bis 75 Kilo) alles gewonnen.

Jetzt allerdings lasten auf seinen muskulösen Schultern die verbliebenen Medaillenhoffnungen des NBF für die Olympischen Spiele in London. Das fünfköpfige Team von Trainer Ali Muumbembi war nach einem Trainingsaufenthalt in Kuba mit reichlich Vorschusslohrbeeren zur Olympiaqualifikation in die marokanischen Metropole Casablanca gereist. Doch dann musste der Coach, selbst ein ehemaliger Commonwealth-Champion im Weltergewicht, mitansehen, wie seine Boxer der Reihe nach unterlagen: Mannschaftskapitän und Namibias größte Olympia-Hoffnung Jafet Uutoni wurde bereits im Auftaktkampf vom Ägypter Ramy El-Awadi in der ersten Runde ausgeknockt. Teamkollege Simon Johannes schied gar kampflos aus. Er hatte seinen Fight im Hotel verschlafen. Die mitgereisten Offiziellen hatten versäumt, ihrem Schützling die korrekte Anfangszeit zu nennen.

Kasuto (links) gegen Sobirdzhon Nazarov aus Tadschikistan bei den Olympischen Spielen 2012 in London. © Caroline Quinn, Boxing AIBA
© Caroline Quinn, Boxing AIBA
© Caroline Quinn, Boxing AIBA
© Caroline Quinn, Boxing AIBA
Am Ende dieses Kampfes.... © Caroline Quinn, Boxing AIBA
... siegt Kasuko knapp nach Punkten. Trotzdem wird Kasuto am Ende der Spiele ohne Medaille nach hause fahren. © Caroline Quinn, Boxing AIBA

Katastrophe für den Sonnenstaat

Schon drohte der erste Olympische Boxwettbewerb ohne namibische Teilnahme seit der Unabhängigkeit von Südafrika 1990. Eine Katastrophe für den stolzen Sonnenstaat, dessen sportliche Aussenbilanz, abgesehen von Wundersprinter Frankie Fredericks, der in den 90er Jahren die bisher einzigen olympischen Medaillen für sein Heimatland gewann, eher bescheiden ausfällt.

„Wir waren top vorbereitet und voller Zuversicht. Aber plötzlich stand ich alleine da“, berichtet Kasuto in seiner Küche. „Ich habe mir gedacht: Mein Freund Uutoni ist ausgeschieden, meine Kameraden auch, es muss was passieren. Dann haben wir alle gemeinsam gebetet. Die anderen sagten, Du bist unsere letzte Hoffnung, der Trainer sagte: Du bist unsere letzte Hoffnung.“

Glocke – Bing! Tam Tam Tam!

So gestärkt stürzte sich Kasuto in die Schlacht gegen den Tunesier Hassan Chagtemi. „Das war Krieg“, erzählt der 1,78 Meter große Kämpfer und schüttelt sich schaudernd. „Mein Plan war, das einfach nur durchzustehen. Nach jedem Gong bin ich in die Ecke. Wie steht es? 5:2. Dann die Glocke: Bing! Und ich drauf: Tam Tam Tam!“ Kasuto redet sich in Rage, springt auf und führt eine blitzschnelle Links-Rechts-Kombination aus.

„Dann wieder die Glocke: Bing! 10:9. Bing. Pam Papam! Die anderen schrien, Kasuto, Kasuto, Kasuto! Ich dachte, wenn ich nicht gewinne, mache ich die Computer der Kampfricher platt.“ Der Kampf endete 15:14 zugunsten des Namibiers. Es war verdammt knapp.

Kasuto hat sich durchgeschlagen, mit dem Herz eines Löwen und der Beweglichkeit und Eleganz einer Gazelle. Beobachtet man ihn beim Training mit anderen Boxern, werden die Qualitätsunterschiede deutlich. Seit 20 Jahren betreibt der Junge aus dem Township den Boxsport. „Ein Nachbar hat mich 1992 mit ins Gym genommen“, erzählt er. Er war damals sechs Jahre alt. „Mann, überall auf dem Boden war Blut, da habe ich Angst bekommen und bin weggerannt.“

„Die haue ich weg“

Aber schon nach ein paar Wochen zog es den Jungen zurück. „Da waren diesmal noch andere Kinder und ich sagte, gebt mir ein paar Handschuhe, die haue ich weg.“

Auf seinen Premierenkampf musste der Heißsporn allerdings noch vier Jahre warten. Mit zehn stieg er erstmals offiziell in den Ring, im Wüstennest Aranos am Rande der Kalahari. „Meinem Gegner habe ich gleich die Nase blutig gehauen. Ich war stark und mein Motto war: Keiner kann mich schlagen.“

Weil der junge Kasuto auch in der Schule diesem Wahlspruch folgte, flog er raus.  Nur dank der Fürsprache seiner Eltern wurde der Raufbold wieder aufgenommen, mit der Maßgabe, die Fäuste künftig unten zu lassen.

Seinen ersten Titel holte Kasuto im Jahr 2003. Die Jugendmeisterschaft in Rundu an der Grenze zum Nachbarstaat Angola. Nicht nur deshalb ein denkwürdiger Kampf: „Mann, der Typ ging zu Boden und hörte auf zu atmen. Dann kam der Doktor und spritzte ihm etwas Wasser ins Gesicht, da ist er wieder aufgewacht. Gott sei Dank!“

Stolz in Peking

Weitere Highlights auf Kasutos langer Liste von Erfolgen: die Afrikameisterschaft 2007 und die Olympischen Spiele in Peking. Da schied der damalige Weltergewichtler (bis 69 Kilo) zwar schon im ersten Kampf gegen den Russen Andrey Balanov aus. Trotzdem hegt er positive Erinnerungen an die Spiele: „Damals waren wir sogar 11 Athleten, Uutoni trug die Flagge bei der Eröffnungsfeier. Es war wunderschön.“ Nach London werden immerhin neun namibische Sportler fahren.

Zurück zur jüngsten Vergangenheit: Er, Kasuto, hatte also die Olympiateilnahme des Box-Teams in London durch seinen Sieg in Marokko gesichert. Im Halbfinale gegen den Algerier Abdelmalek Rahou hätte er es also ruhig angehen lassen können. Doch das kam nicht infrage, der Namibier hatte Blut geleckt. „Wenn der Punkte von mir will, soll er sie sich holen, dachte ich mir und hab ihn kommen lassen.“ Wieder springt er auf, die Fäuste sausen durch die stickige Küchenluft.

Gold oder Nichts

Am Ende behielt der Schwarzafrikaner mit 12:11 die Oberhand. Silbermedaille. Der Sieg im Finalkampf allerdings ging mit 10:2 überlegen an den Lokalmatador Badr-Eddine Haddioui. „Ich habe ihn gewinnen lassen“, behauptet Kasuto. „Mein Ziel ins Finale zu kommen, hatte ich erreicht. Warum etwas riskieren?“

Und was sind seine Ziele für Olympia in London? „Dazu sage ich nichts. Wenn ich in der ersten Runde rausfliege heißt es sonst, ich hätte was versprochen.“ Sein Lachen hallt bis auf den Hof. „Aber ich bin bereit. Es ist alles möglich. Von Nichts bis Gold.“ Dann wäre die Nation glücklich, und Kasuto-Junior hätte wieder was zum rumschmeißen. Pam, Papam, Tam Tam Tam, tänzelt Kasuto durch seine Küche.

Nachtrag: Kasuto errang in der Vorrunde einen knappen Sieg gegen den Tadschiken Sobirjon Nazarov. Verlor aber seinen zweiten Olympiakampf und schied im Achtelfinale gegen den Ungar Zoltán Harcsa aus. Bei den Commonwealth Games 2014 im schottischen Glasgow schied Kasuto ebenfalls im Achtelfinale aus. Er verlor gegen den späteren Silbermedalliengewinner Vijender Vijender aus Indien.

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